Architektur & Immobilien

Maßstab Zukunft

Wie baut man für kommende Generationen? Die ganze Architekturwelt setzt intensiv sich mit diesem Thema auseinander. Die Antworten sind ganz unterschiedlich. Das Ziel ist das gleiche.

Von Barbara Jahn

Es gibt sie, die ganz lauten, aber auch die ganz leisen. Wo die einen mit ihren außergewöhnlichen Formen selbstbewusst auf der öffentlichen Weltbühne in Erscheinung treten, mögen es andere fast versteckt, intim und bescheiden. Doch visionäre Architektur muss jedoch eigentlich weder das eine noch das andere sein. Selbst, wenn die Schwerpunkte völlig unterschiedlich gesetzt werden, so ist es die nachhaltige Idee, etwas in Gang zu setzen, was zukunftsweisende Projekte miteinander verbindet. Und das geschieht auf unterschiedlichste Art und Weise, aber stets mit Blick auf einen sensiblen Umgang mit Gesellschaft, Natur, Raum und Materialien.

Aufblühen

Mitten im Budapester Stadtpark erhebt sich das neue House of Music – ein visionäres Bauwerk des preisgekrönten japanischen Architekten Sou Fujimoto, dessen Gebäude Natur, Klang und Architektur in einzigartiger Weise verbindet. Inspiriert vom Gedanken der Schallwelle und realisiert von Liget Budapest, entstand ein lichtdurchfluteter Bau mit weißem, gewelltem Dach, durchbrochen von rund 100 Öffnungen, die wie Lichtschächte das Licht tief ins Innere des Gebäudes leiten und Glasfassade aus 94 wärmegedämmten, teils zwölf Meter hohen Paneelen, die die umliegenden Bäume optisch ins Gebäude hineinholen und so Innen und Außen miteinander verschmelzen lassen. Bemerkenswert sind die 30.000 dekorative Blätter, die die Decke zieren und direkt an die Natur des angrenzenden Stadtparks anknüpfen.

Auf einzigartige Weise vereinen sich hier Natur und Architektur: Die spektakuläre Überdachung des House of Music in Budapest setzt das natürliche Blätterdach der umliegenden Bäume einfach fort.

Das Gebäude ist Teil eines der größten Kulturprojekte Europas und ergänzt weitere Neubauten wie das Museum für Völkerkunde sowie die geplante Nationalgalerie im Városliget-Viertel. Die Architektur mit drei Ebenen folgt dabei der Struktur einer Drei-Satz-Partitur, jede davon mit einer anderen Funktion. Mit einer Fläche von 9.000 Quadratmetern bietet es Konzerthallen, Ausstellungsräume und eine Open-Air-Bühne. Die Besucher begeben sich dabei auf eine musikalische Zeitreise durch die europäische Musikgeschichte und können einen Ausflug in die Geschichte der ungarischen Popmusik von 1957 bis 1990 machen. Der unterirdische Bereich beherbergt hingegen eine beeindruckende Klangkuppel sowie Dauer- und Wechselausstellungen.

Auch in puncto Nachhaltigkeit setzt das Haus Maßstäbe: Dank eines geothermischen Energieversorgungssystems, spezieller Heiz- und Kühlsysteme sowie einer regenwassergestützten Pflanzenbewässerung erhielt das Gebäude das renommierte Breeam-Zertifikat. Zum Einsatz kommen außerdem lokal angepasste, wassersparende Pflanzenarten. Der Bau vereint damit eine kulturelle mit einer ökologischen Innovation - als moderne Architektur als Hommage an die musikalische Tradition Ungarns.

Zusammenwachsen

Das Architektur- und Innenarchitekturbüro AW² unter der Leitung von Reda Amalou und Stéphanie Ledoux wurde beauftragt, zu den bestehenden 25 touristische genutzten Hütten auf einem 150 Hektar großen Gelände im Dorf Chassey-les-Montbozon in der französischen Franche-Comté vier neue als Ergänzung zu planen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Kreativbüro und dem Unternehmen Coucoo Cabanes entstand aus gemeinsamen Werten heraus, nämlich einerseits nachhaltige Architektur mit einem hohen Mehrwert in Hinblick auf einen maßgeschneiderten bioklimatischen Ansatz in Symbiose mit der Umgebung zu schaffen und, andererseits, damit die unumstößlichen Umweltprinzipien des Auftraggebers, der sich für eine lebendige Biodiversität und eine bessere Interaktion zwischen Mensch und Natur einsetzt, widerzuspiegeln. Dank der minutiösen Planung gelang es in nur vier Monaten die Bauelemente herzustellen und zusammenzubauen, um sie dann in sieben Wochen vor Ort aufzustellen.

Das besonders intensive Erleben der Natur ist das Konzept der touristisch genutzten Waldhütten von Coocoo Cabanes.

Die vier Hütten auf dem Landgut Grands Lacs sind also die ersten Exemplare in einer Reihe von Kooperationen zwischen dem Studio und Coucoo Cabanes. Im Fokus stand von Anfang an, Architektur und Natur harmonisch miteinander koexistieren zu lassen. Gewohnt werden kann hier auf drei Ebenen, die von einer schützenden Hülle umgeben sind. Das Design der Hütte erinnert an eine Knospe kurz vor dem Aufblühen: Die äußere Struktur öffnet sich und gibt den Blick auf die Innenräume frei, die zwar geschützt sind, sich jedoch die umgebende Landschaft „hereinlassen“. Schon von der ersten Ebene auf Stelzen kann man Aussicht und die sanfte Brise verinnerlichen. Hier, auf einer großen, geschützten Terrasse, können die Gäste praktisch geschützt vor Regen und Sonne im Freien wohnen. Auf der zweiten Ebene befindet sich das Schlafzimmer, das durch die offenen Erkerfenster natürlich belüftet wird. Auf der dritten Ebene befindet sich ein nordisches Bad. Hier können sich die Gäste entspannen, während sie in das Wasser und gleichzeitig in die Baumkronen eintauchen.

Bei diesem Projekt wird durch die Wahl der Materialien und Konstruktionsmethoden die Erfahrung des intensiven Kontakts mit der Natur noch verstärkt. Der Standort der einzelnen Hütten wird anhand der Möglichkeiten, die das Gelände bietet, ausgelotet und bestimmt. Ziel ist es, die natürliche Umgebung bestmöglich zu schützen und gleichzeitig das optimale Erlebnis für die Gäste zu schaffen. Die Hütten wurden von MCF Bois gebaut, einem auf Holzbau spezialisierten Unternehmen, dessen Produktionswerkstatt nur etwas über eine Stunde vom Standort Grands Lacs entfernt liegt. Als Holzart wurde Douglasie gewählt und damit Bäume, die weniger als 30 Kilometer von der Werkstatt entfernt gefällt werden konnten. Die Hütten wurden in der Werkstatt vorgefertigt und dann zur Baustelle transportiert. Durch diese Vorfertigung und den Einsatz geeigneter Hebegeräte konnte die Bauzeit vor Ort auf nur vier Tage pro Hütte verkürzt werden. Infolge waren die Auswirkungen auf das Gelände minimal, was zum Schutz des Geländes und seiner Artenvielfalt beitrug. Das Projekt Coucoo Cabanes unterstützt somit die lokale Wirtschaft, verringert dank kurzer Transportwege den CO2-Fußabdruck und fördert die traditionelle Handwerkskunst der Region.

Andocken

Als passende Antwort, wie ein Gebäude auf ihre direkte Nachbarschaftsumgebung bestmöglich reagieren kann, versteht sich der Superhub Meerstad, eine moderne Vision des Supermarktes. Denn hier, wo rund um den neuangelegten See Woldmeer in den nächsten Jahrzehnten 5.000 Wohneinheiten entstehen werden, soll es neben dem täglichen Einkauf auch möglich sein, von einem ergänzendes Nutzungsprogramm zu profitieren, zum Beispiel ein Café und ein Gesundheitszentrum. Mit diesem Konzept, das mit seinem Quartier mitwächst, werden nicht nur die Grundbedürfnisse gedeckt, sondern gleichzeitig - wie in einem Ortskern - es wird auch für Bewegung, Dynamik und Unterhaltung gesorgt.

Die direkte Verbindung zu seiner Umgebung, die Schritt für Schritt entsteht - sowohl optisch als auch funktional -, sucht das Gebäude Superhub Meerstad von De Zwarte Hond.

Doch nicht nur die Idee kann sich sehen lassen: Auch die Architektur des niederländischen Büros De Zwarte Hond ist spektakulär. Das Gebäude mit einer nachhaltigen Tragkonstruktion aus Holz ist transparent und allseitig orientiert. Holzsäulen mit kreuzförmigem Querschnitt tragen die neun Meter hohe Dachkonstruktion, deren Träger ein wirkungsvolles Rautenmuster ergeben. Das Dach bietet jede Menge Platz für Photovoltaikmodule. Durch die umlaufende Glasfassade flutet das Tageslicht in den Markt herein und lässt gleichzeitig die umgebende Parklandschaft intensiv erleben, wohingegen das Bauwerk am Abend wie ein Leuchtturm in die umliegende Nachbarschaft strahlt. Das Projekt gilt als beispielhafte Symbiose aus modernem Supermarkt und historischer Markthalle mit einer fast schon sakralen Wirkung, die den Raum über die ebenfalls visuell anspruchsvollen Marktregale prägt.

Signale setzen

Der Guangzhou Circle, entworfen vom italienischen Architekten Joseph Di Pasquale, gilt als eines der markantesten Wahrzeichen der chinesischen Metropole Guangzhou. Mit seiner Höhe von 138 Metern, 33 Stockwerken und einer Fläche von 85.000 Quadratmetern steht das Gebäude am Perlfluss nahe dem Südbahnhof und ist das höchste kreisförmige Gebäude der Welt. Besonders auffällig ist der zentrale, perfekt runde Hohlraum mit 48 Metern Durchmesser. Es wurde zu einem Symbol für die Verbindung zwischen Ost und West sowie Vergangenheit und Gegenwart – ein südliches Tor zum „Reich der Mitte“ und zugleich ein städtisches Erkennungszeichen mit hohem Wiedererkennungswert.

Die markante Kreisform des Guangzhou Circles von Joseph di Pasquale prägt die Stadtsilhouette wie ein überdimensionales Stadttor.

Di Pasquale wollte bewusst mit dem westlich geprägten Ideal des Wolkenkratzers brechen und ein Bauwerk mit starkem ikonografischem Wert schaffen, das sich vom klassischen Hochhaus unterscheidet. Inspiriert von chinesischen Schriftzeichen beschreibt er das Gebäude als „urbanes Ideogramm“. Seine runde Form erinnert an traditionelle Jadescheiben, die in der chinesischen Kultur für Harmonie und Unendlichkeit stehen. Der doppelte Kreis spiegelt sich im Wasser und erinnert an die Zahl 8 – ein Glückssymbol in China. Gleichzeitig greift der Entwurf die westliche Idee der „Quadratur des Kreises“ auf und verbindet runde Außenformen mit funktionalen, rechtwinkligen Innenräumen.

Für Di Pasquale sind kulturelle Wurzeln zentral: Er betont die Bedeutung von Tradition und Identität in einer Zeit globaler Vereinheitlichung. Fortschritt bedeute für ihn nicht die Aufgabe des Eigenen, sondern eine Weiterentwicklung auf Basis bestehender Werte. In der Architektur sieht er eine Möglichkeit, kulturelle Differenz sichtbar und erfahrbar zu machen – ohne Dominanz, sondern im Austausch. Der Guangzhou Circle verkörpert diese Philosophie und wurde nach seiner Fertigstellung mehrfach in offiziellen Medien als Symbol für das moderne Guangzhou verwendet – als großes „Jadetor“ und städtebauliches Zeichen im Spannungsfeld zwischen Ost und West.

Harmonieren

Mitten in den Wäldern von Karuizawa, auf einem 5.800 Quadratmeter großen, hügeligen Grundstück, ließ sich eine vierköpfige Familie von bekannten japanischen Architektur- und Designbüro Nendo ein Wochenenddomizil in Form eines „Dorfes“ errichten, das aus insgesamt sechs Elementen in Form von Holzhäusern besteht. Zusammengefasst durch eine große umlaufende Holzterrasse, die als Plattform auf schwarzen Rundsäulen an das natürliche Gefälle schmiegt, offenbart sich von fast allen jeweils nur 20 Quadratmeter großen, kompakten Häuschen ein großartiger Blick auf den gegenüberliegenden Berg Asama. Die zweite Verbindung zwischen den Häusern ist die gemeinsame Dachlandschaft, die sich mit ihrer schwarzen Farbe von der hellen Terrasse abhebt. Durch die unterschiedlichen Neigungen und durch die variierende Ausrichtung der Häuser ergibt sich ein lebendiges Auf und Ab, in dem sich die hügelige Umgebung widerspiegelt und das sich jedoch ohne Unterbrechung über die gesamte Fläche erstreckt.

Beim Hand-in-Hand House von Nendo entsteht das harmonische Ganze erst durch die Verbindung einzelner Units.

In der Dachlandschaft offenbart sich das Entwurfskonzept am deutlichsten: Die separaten Raum-Pavillons halten einander wie eine Familie an den Händen.

Terrasse und Dachlandschaft sind Ausdruck der gestalterischen Grundidee dieses Hauses, nämlich „eine Familie, deren Mitglieder sich an den Händen halten“. Dieser imaginäre Gedanke gab dem Projekt auch den Namen „Hand-in-Hand-House“. Der Grundriss, aber auch die Gestaltung der einzelnen Häuschen, die im Prinzip nur aus einem Raum bestehen, richten sich nach der Individualität seiner Bewohner. Auf diese Weise wahrt das Haus eine respektvolle Distanz, die die Zeit und die Einzigartigkeit jedes Familienmitglieds hochhält und dennoch die Verbindung zwischen den Familienmitgliedern fördert. So beherbergt jedes davon eine bestimmte Funktion, etwa die Küche, den Essbereich oder die Schlafzimmer – kleine Räume mit unterschiedlichen Eigenschaften und Komfortniveaus, die gleichzeitig ein Gefühl der Einheit unter einem Dach ermöglichen.

Ähnlich kontrastierend zum schwarzen Dach wie die hellen Holzfassaden erstrahlen die Innenräume mit ihren geschwungenen Decken in Weiß. Das sanfte Ondulieren erzeugt eine optische Leichtigkeit, die von den großzügigen raumhohen Glasflächen, die das Innen mit dem Außen fast nahtlos verbinden und die Aussicht auf den Wald freigeben, noch verstärkt wird. Die Räume selbst wurden mit hellen Holzverkleidungen für Wände und Böden ausgestattet. Mit der Einrichtung und den Raumflächen dominieren Grautöne und helles Holz den Innenraum. Als Pendant zu den skulptural anmutenden Decken wurde das Mobiliar bewusst schlicht, zurückhaltend und minimalistisch gehalten – so gibt es beispielsweise nur die rechteckige Badewanne, eine Essgruppe, einen Küchenblock, ein Bett, sonst nur die erholsame Leere.

Newsletter Anmeldung

* Angaben erforderlich

Indem Sie unten auf „Abonnieren“ klicken, bestätigen Sie, dass Ihre Informationen zur Verarbeitung an unseren Newsletter Partner übermittelt werden. Weitere Informationen entnehmen Sie unserer Datenschutzerklärung.