Architektur & Immobilien

Wer – oder was – gestaltet unser Morgen?

Stellen Sie sich vor: Design auf Knopfdruck. Räume, Möbel und Atmosphären entstehen binnen Sekunden. Verführerisch echt, zum Greifen nah – und doch nur Simulation. 

Von Linda Pezzei

WAS WÄRE WENN… man die Architekten der saudi-arabischen Planstadt Neom auf Alt Aussee oder Hallstatt loslassen würde? Blicken dann die High-Tech-Wolkenkratzer auf das Kirchtürmchen herunter während Superjachten um künstliche Inseln ankern?

Bevor wir uns mit ästhetischen und gesellschaftlichen Fragen befassen, lohnt es sich, einen Blick auf die Grundlagen zu werfen: Was ist künstliche Intelligenz eigentlich, wie funktioniert sie und warum ist sie für Design und Architektur so relevant? Denn gerade bei Begriffen, die so allgegenwärtig und in der Diskussion sind, werden klare Definitionen mitunter in den Hintergrund gedrängt.

Wovon also sprechen wir, wenn wir „KI“ sagen? Der Begriff „künstliche Intelligenz“ bezeichnet im Kern keine einzelne Instanz, sondern einen Sammelbegriff für lernende Algorithmen. Das sind Rechenanweisungen, die Muster in Daten erkennen, Vorschläge machen oder Inhalte neu generieren. Wenn sie mit gewaltigen Mengen an Texten, Bildern oder Sprache trainiert werden, entwickeln sie die Fähigkeit, Begriffe wie „Stuhl” oder „gotische Kathedrale” zu deuten. Wichtig zu wissen ist jedoch, dass eine KI nicht selbst „denkt“, so, wie wir diesen Begriff verstehen. Sie kombiniert Gelerntes, verfügt jedoch weder über ein eigenes Bewusstsein noch über Fantasie im menschlichen Sinne.

Wir Menschen neigen dazu, auch anderes zu vermenschlichen – wir sprechen mit Haustieren und Pflanzen, benennen Bücherregale und Couches mit skandinavischen Vornamen. Es ist naheliegend, dass wir mit etwas so menschlich erscheinendem wie der KI ähnlich umgehen: auf den folgenden Seiten werden Sie Stimmen lesen, die von der KI als Dialogpartner sprechen, sie geradezu poetisch schildern. KI „denkt“ nicht, sie kann nicht „träumen“. Aber vielleicht fehlt uns einfach (noch) das Vokabular dafür, diese neue Art der vermenschlichten Technik in Worte zu fassen. Trotzdem werden wir es versuchen – gemeinsam mit jenen, die die KI längst als Teil ihres Alltags begrüßen, als neue Hybridform zwischen Tool und Kollege.

WAS WÄRE WENN… alle Autos vom Ring verbannt würden und sich die Staatsoper inmitten einer grünen Oase wiederfände? Wir haben uns von den Plänen für eine Verkehrsberuhigung der Innenstadt inspirieren lassen und unsere Vision mittels KI veranschaulicht.   

Die Haltung der Gestalter schwankt zwischen Euphorie, Skepsis und Neugier – die klassische Mischung in der Begegnung mit neuen Technologien. Und wahrscheinlich eine, die es braucht, um eine differenzierte Auseinandersetzung mit Unbekanntem zu ermöglichen. Schließlich wären einheitliche Ablehnung ebenso wie unkritischer Enthusiasmus gleichermaßen sinnlos. Sinnstiftend wird eine Diskussion erst dann, wenn sich unterschiedliche Standpunkte aneinander reiben und sich daraus ein neuer gesellschaftlicher Konsens ergibt, der die jeweilige Technologie produktiv in unsere kulturelle Entwicklung einbettet. Was die Diskussion um die KI von anderen Technologien abhebt ist, dass plötzlich das vermeintlich „Ur-Menschliche“ in Frage steht: Intelligenz, Kreativität, künstlerischer und schöpferischer Geist. Es sind diese Dinge, die seit Jahrtausenden den Unterschied zwischen uns als Menschen und anderen Lebewesen definieren, zwischen Kultur und Natur. Was passiert damit, wenn es sich plötzlich imitieren lässt? Gerade in den Bereichen Design, Architektur und Kunst ist diese Frage nun aktueller denn je. 

Was bleibt vom Menschen, wenn Algorithmen das Design übernehmen? Wo beginnt Inspiration und wo endet Simulation? Und welche Verantwortung tragen wir, wenn KI nicht nur Technik, sondern auch Kultur prägt? Design DE LUXE hat nachgefragt.

Die Träumerin als Werkzeug

Der Medienkünstler Refik Anadol nennt KI eine „Träumerin“, die Daten in poetische Bilder verwandelt. Das britische Design- und Zukunftsstudio Superflux warnt davor, KI lediglich als Beschleuniger von Konsum und Machtstrukturen zu nutzen. Norm Architects empfinden sie „als Spiegel und als Lupe zugleich“: Ihre eigenen Entwürfe tauchen in KI-Variationen wieder auf – ein Beleg für das kollektive Bedürfnis nach Ruhe, Haptik und menschlichem Maß.

Innenarchitekt Antony Gibbon betont den Realitätstest: „KI kann unglaublich produktiv sein für erste Ideen. Doch am Ende entscheiden Statik, Budget und Materialität darüber, ob ein Raum wirklich zum Leben erwacht.“

Medienproduzentin Sara Sera zieht die Parallele zur Fotografie des 19. Jahrhunderts: ein Medium, das zunächst Angst machte – und dann die Kunst revolutionierte. „KI kann inspirieren, aber meine Handschrift darf nie unsichtbar werden.“

WAS WÄRE WENN… es in den Bergen freie Fahrt gäbe für megalomanische Luxus-Architektur? Skifahren wird immer mehr zum Luxusvergnügen, warum das auch nicht irgendwann in Architektur gießen? Ohne Rücksicht auf Verluste – geschweige denn Geschmack.

Drei Thesen zum Umbruch

Aus den Gesprächen mit Designern, Architekten und Künstlern dieser Strecke kristallisieren sich drei Beobachtungen heraus, die wie Wegmarken durch den Diskurs führen. Sie zeigen, wo Chancen liegen, wo Risiken lauern und woran sich die kreative Qualität künftig messen wird.

These 1: Demokratisierung führt zur Uniformität

Noch nie war es so einfach, Räume, Möbel oder Atmosphären zu entwerfen. KI-Tools stehen heute fast jedem zur Verfügung – egal ob Profi oder Laie. Das Ergebnis ist eine Flut an glatten, generischen Bildern. Der deutsche Designer Mark Braun beobachtet: „KI-Anwendungen sind als Werkzeug in den Gestaltungsprozessen omnipräsent und generieren schnellere Zyklen in Recherche und Entwurf. Gleichzeitig schwindet auch die Handlungskompetenz der Gestalter in ihren originären Tools – und damit ihre souveräne Eigenständigkeit.“ Die Frage bleibt: Wenn alle alles entwerfen können, was unterscheidet dann noch gutes Design von bloßer Simulation?

These 2: Die Handschrift stirbt nicht – sie wird aufleben

Gerade in einer Bilderflut makelloser Renderings wächst die Sehnsucht nach Unvollkommenheit. Der Architekt und KI-Experte Simon Hirtz sieht Einzigartigkeit als Verantwortung. Verena Wohlkönig und Jürgen Hamberger erkennen darin sogar ein neues Luxusmerkmal, denn Spuren der Handarbeit werden zur Rarität. Thomas Waidhofer nennt KI „Nebendarstellerin“ – die Hauptrolle spiele immer noch die „künstlerische Intelligenz“. Mit anderen Worten: Je perfekter die Maschine, desto wertvoller wird das Unverwechselbare des Menschen.

These 3: Das Menschliche bleibt das Differenzierungsmerkmal

Emotionen, Intuition und kulturelle Einbettung lassen sich nicht prompten. „Design ist kein Output, sondern ein kreativer Resonanzraum“, formulieren es Wohlkönig und Hamberger. Das Londoner Zukunftsstudio Superflux mahnt, KI nicht nur als Beschleuniger, sondern auch als Spiegel gesellschaftlicher Strukturen zu begreifen. Die eigentliche Qualität entsteht dort, wo Maschinen an ihre Grenzen stoßen: im Kontext, in der Empathie und in der Sinnstiftung.

Mit KI auf Zeitreise

Für Design DE LUXE hat der KI-Künstler Oliver Gast ein visuelles Experiment entwickelt: Wie würden Ikonen heute arbeiten? Wie hätte sich die Kunst von Andy Warhol oder Gustav Klimt, die Architektur von Le Corbusier oder die Mode von Coco Chanel und Vivienne Westwood weiterentwickelt? Mithilfe künstlicher Intelligenz können wir uns dieser Frage bildlich annähern und eine Diskussion anstoßen. Wir schicken Ikonen auf Zeitreise – und laden unsere Leserinnen und Leser ein, sie dabei zu begleiten. 

Dialog statt Diktat

Vielleicht ist die Zukunft kein strenges Entweder-oder, sondern vielmehr ein Call-and-Response: KI als hilfreicher Co-Creator, der Optionen generiert, der die Bilder und unseren Köpfen auch für anderen blitzschnell sichtbar macht und so eine Grundlage für eine gemeinsame Vision schafft. So wird sie zur Plattform für kreatives Teamwork, nicht nur zwischen Mensch und Maschine, sondern auch zwischen Mensch und Mensch. Mensch bleibt letztlich immer Sinngeber, der auswählt. Und so entsteht ein facettenreicher Dialog wie im Jazz, voller Improvisation, Reibung und überraschender Wendungen. 

Die Stimmen in dieser Strecke – euphorisch, skeptisch, nachdenklich – machen deutlich: Eine Zäsur im Design steht unmittelbar bevor – Maschine und Seele, Fiktion und Funktion verschmelzen in einer Art und Weise, die ­bisher nicht vorstellbar war. Die Zukunft ist jetzt.

© KI-Bilder: Barbara Wallner

Newsletter Anmeldung

* Angaben erforderlich

Indem Sie unten auf „Abonnieren“ klicken, bestätigen Sie, dass Ihre Informationen zur Verarbeitung an unseren Newsletter Partner übermittelt werden. Weitere Informationen entnehmen Sie unserer Datenschutzerklärung.