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Architektur & Immobilien

Hanfbeton: Das unterschätzte Baumaterial der Stunde?

Während die Baubranche nach klimafreundlichen Alternativen sucht, erlebt ein fast vergessener Werkstoff seine Renaissance. Hanfbeton verbindet Tradition mit Kreislaufwirtschaft – und fordert etablierte Materialien heraus.

Von Julia Weninger

Neue Vorschriften, Ressourcenknappheit und die Frage nach der CO₂-Bilanz von Gebäuden haben die Suche nach anderen Baustoffen beschleunigt. In dieser Gemengelage rückt ein Material in den Fokus, das eigentlich alt ist: Hanfbeton. Eine Mischung aus Hanfschäben – dem holzigen Kern der Pflanze – und Kalk. Was nach Nische klingt, entwickelt sich gerade zum ernsthaften Kandidaten für zeitgemäßes Bauen.

Wenn der Baustoff CO₂ bindet

Hanfbeton hat eine Eigenschaft, die ihn von konventionellen Materialien unterscheidet: eine negative CO₂-Bilanz. Während des Wachstums nimmt die Hanfpflanze Kohlendioxid auf, das im Material gebunden bleibt. Der Herstellungsprozess verursacht weniger Emissionen als die Produktion von Portlandzement. Matthias Schwarz und Raphael Grotthuss, die mit ihrer Rottal Hanf GmbH an neuen Anwendungen arbeiten, formulieren es so: „Mit Hilfe neuer technologischer Ansätze werden altbewährte Technik neu belebt, sowie neue Produktentwicklungen erlaubt, um kreislauffähige, CO₂-negative Anwendungen voranzubringen."

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Die Rechnung geht auf, weil Hanf schnell wächst und die gesamte Pflanze verwertet werden kann. Der Kalk sorgt für Festigkeit und Haltbarkeit. Dass diese Kombination funktioniert, ist keine Erfindung der Gegenwart – Hanf wurde bereits im historischen Bauwesen verwendet. Heute liegt der Unterschied in der technischen Weiterentwicklung: modulare Blöcke, Platten, präzise Rezepturen.

Die neue Dämmung

Die Eigenschaften von Hanfbeton gehen über Klimabilanz hinaus. Das Material reguliert Feuchtigkeit, bleibt atmungsaktiv und ist schimmelresistent. Es brennt nicht. Die Dämmleistung liegt über der von herkömmlichem Beton, was sich auf den Energiebedarf von Gebäuden auswirkt. Architekt Ulf Rössler setzt Hanfbeton für Sichtwände und Akustikelemente ein – Anwendungen, die zeigen, dass es nicht nur um Dämmschichten hinter Putz geht.

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2025 ist Hanfbeton im Haus- und Hochbau angekommen. Mit der neuen Zulassung durch das Deutsche Institut für Bautechnik wird der Einsatz im Massivbau möglich. Werner Schönthaler vom Schönthaler Bausteinwerk in Südtirol sagt: „Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und CO₂-negatives Bauen sind mehr als Schlagworte – sie verlangen nach neuen, alten Baustoffen. Hanf und Kalk sind hier echte Hoffnungsträger." Die Formulierung klingt programmatisch, trifft aber einen Punkt: Es braucht Materialien, die sich in bestehende Bauweisen integrieren lassen, ohne das System komplett neu zu denken.

Von der Wand zum Waschbecken

Dass Hanfbeton auch jenseits von Wänden funktioniert, zeigt ein Projekt von cancret Materials . Für den Künstler Det Blumberg entstanden Waschbecken und Arbeitsplatten aus dem Material. Die Oberflächen sind rau, die Haptik erdig – eine Ästhetik, die bewusst auf Perfektion verzichtet. Für Innenräume bedeutet das: Hanfbeton wird sichtbar, nicht versteckt. Eine Verschiebung, die auch gestalterische Fragen aufwirft. Wie geht man mit einem Baustoff um, der seine Herkunft nicht kaschiert? Welche Räume verträgt diese Materialität?

Die Antworten sind offen, aber die Richtung erkennbar. Hanfbeton landet in Projekten, die Natürlichkeit nicht als Marketingbegriff verstehen, sondern als formale Entscheidung.

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Was noch fehlt

Trotz wachsender Anwendungen bleibt Hanfbeton in einer Zwischenposition. Normen sind noch nicht überall geklärt, die industrielle Skalierung läuft an, ist aber nicht abgeschlossen. Jetzt liegt es Expertinnen zufolge daran, wie es gelingt aus einem Nischenmaterial einen Standard zu machen.

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Titelbild: Quer: © Pixabay; © Guillaume Meurice

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