(c) Rail Gunbreaker/ Pexels

Architektur & Immobilien

Blob-Architektur: Was passiert, wenn Gebäude ihre Konturen verlieren?

Von der Die „Friendly Alien“-Ikone aus der Steiermark bis zum futuristischen Modeobjekt aus 15.000 runden Aluminiumscheiben.

Von Julia Weninger

Blob-Architektur gehört zu jenen Phänomenen, die man nicht übersieht. Gebäude, die aussehen, als wären sie nicht gebaut, sondern gelandet. Formen, die sich jeder Geradlinigkeit verweigern und mit digitalen Werkzeugen entstanden sind, lange bevor Parametrik Mainstream wurde. Was in den 1990er-Jahren als architektonisches Experiment begann, ist heute ein klar definierter Stil: organisch, futuristisch, radikal anders.

Kunsthaus Graz: Die „Friendly Alien“-Ikone der Steiermark

Kaum ein Bau verkörpert den Geist der Blob-Architektur so unverkennbar wie das Kunsthaus Graz. Peter Cook und Colin Fournier entwarfen das Museum Anfang der 2000er-Jahre als organisches Volumen, das sich mit glänzender Haut aus Acrylglas über die Altstadt legt – ein Kontrast, der bewusst gesucht ist. Das „Friendly Alien“, wie der Bau damals getauft wurde, wirkt, als wäre es gelandet statt geplant.

Seine Form folgt keiner klassischen Geometrie. Stattdessen wölbt sich die Fassade wie ein lebendiger Organismus, mit lichtdurchlässigen Noppen und einem inneren Raumgefüge, das freie Bewegungen statt linearer Wege ermöglicht. Die Architekten setzten auf digitale Modellierung, als diese Werkzeuge noch weit von ihrer heutigen selbstverständlichen Verfügbarkeit entfernt waren. Das Ergebnis ist ein Gebäude, das nicht nur Ausstellungsfläche, sondern selbst ein Exponat futuristischer Formensprache geworden ist – ikonisch, eigenwillig und längst Teil der DNA von Graz.

(c) Kunsthaus Graz

The Eden Project: Biome als begehbare Naturkörper

Auch das Eden Project im englischen Cornwall, entworfen von Nicholas Grimshaw, sprengt traditionelle Vorstellungen von Architektur. Die berühmten Kuppeln – technisch geformte „Biomes“ – erscheinen wie gewaltige Seifenblasen, die sich in eine ehemalige Kaolingrube schmiegen. Hier ist der Blob-Ansatz nicht ästhetisches Stilmittel, sondern funktionales Prinzip.

Grimshaw verwendete ETFE-Kissen, ein ultraleichtes, lichtdurchlässiges Material, das trotz seiner technischen Kühle eine überraschend organische Wirkung entfaltet. Die Wabenstruktur passt sich den Dachkuppeln wie eine flexible Haut an, wodurch ein Gebäudeensemble entsteht, das eher einer natürlichen Zellstruktur als einer architektonischen Ordnung entspricht. Die Formen reagieren auf Klima, Licht und Umgebung – ein Biomimetismus, der das Eden Project zu einem der plastischsten Beispiele nachhaltiger Großstrukturarchitektur macht.

(c) Eden Project

The Sage Gateshead: Musik in Bewegung übersetzt

Norman Foster ist bekannt für Eleganz und technische Präzision, doch mit dem Sage Gateshead schuf er eines seiner organischsten Werke. Das Veranstaltungszentrum liegt am Tyne-Ufer und wirkt, als wäre es eine einzige, glänzend geschwungene Membran. Die Hülle aus Edelstahl und Glas schmiegt sich wie ein gefaltetes Band über drei separate Konzertsäle – eine architektonische Geste, die Klang, Bewegung und Fluss übersetzt.

Der Blob-Gedanke zeigt sich nicht nur in der äußeren, ununterbrochen geschwungenen Form, sondern auch im räumlichen Konzept: Statt definierter, harter Übergänge stehen fließende Räume, ineinanderlaufende Funktionskörper und eine Formensprache im Vordergrund, die bewusst auf Richtungswechsel verzichtet. Foster verbindet hier Technologie mit Plastizität – eine Art zurückhaltender Blob, bei dem Funktion und Form eine harmonische Einheit bilden.

(c) New Castle Chronicle

Selfridges Building Birmingham: Architektur als futuristisches Modeobjekt

Kaum ein Gebäude hat die Innenstadt Birminghams so geprägt wie das Selfridges Building, entworfen von Future Systems. Hier zeigt sich Blob-Architektur in ihrer kühnsten Version: Die Fassade aus 15.000 runden Aluminiumscheiben auf tiefblauer Membran erinnert an die strukturelle Haut eines futuristischen Wesens. Nichts an diesem Bau ist traditionell, nichts rechtwinklig, nichts zurückhaltend.

Die Architekten Jan Kaplický und Amanda Levete setzten bewusst auf radikale Andersartigkeit. Das Gebäude verzichtet vollständig auf ornamentale Fassadenelemente und wirkt stattdessen wie ein digitales Objekt, das in die echte Welt übertragen wurde. Seine Wölbungen und Auskragungen erzeugen eine Dynamik, die auch im Ruhezustand kinetisch wirkt. Hier wird Blob-Architektur zu einer architektonischen Modenschau.

(c) Square Crumpets

Newsletter Anmeldung

* Angaben erforderlich

Indem Sie unten auf „Abonnieren“ klicken, bestätigen Sie, dass Ihre Informationen zur Verarbeitung an unseren Newsletter Partner übermittelt werden. Weitere Informationen entnehmen Sie unserer Datenschutzerklärung.