
Fall into Style – Die Interior-Trends im Herbst 2025
Berühren statt beeindrucken: Das will der Interior-Herbst 2025. Es geht um Material in all seiner Präsenz, aber oft überraschend und niemals dogmatisch. Design DE LUXE hat die charmantesten Emotional Pieces arrangiert.
Ein herrlicher Frühherbsttag. Sanftes Licht dringt durch die halbgeöffneten Jalousien ins Schlafzimmer. Ein flauschiger Teppich, ein grazil wirkendes Bett, das nicht nur zum Schlafen, sondern zum Verweilen gemacht scheint. Das neue Chapeau-Bett der italienischen Manufaktur Cierre1972 ist kein Statement, vielmehr ist es eine Geste. Die Proportionen: großzügig, aber nicht monumental, die Form schmeichelhaft. Alles an diesem Bild wirkt wie gehaucht. Wären da nicht die Metallbeine, der harte Steinboden, die nougatfarbene Wand, ganz viel glatte Oberflächen. Genau dieser Kontrast zeigt, was Interior im Herbst 2025 leisten will: Dialog statt Polarität. Was in den vergangenen Jahren oft kühl und konzeptionell daherkam – harte Linie trifft klare Fläche –, bekommt nun eine neue Wärme. Das Spiel ist dasselbe, doch die Protagonisten sind versöhnlicher. Der Interior-Herbst ist geprägt von einem Gefühl, nicht von einem Stil. Er zeigt Material in all seiner Präsenz, aber entzieht ihm die Strenge. Stein darf weich wirken. Stoff darf strukturieren. Technik darf – und soll – verschwinden. Wir leben in einer transformativen Welt, alles bleibt anders. Alles ist vergänglich, flüchtig. Gerade wenn sich die Welt zu schwer anfühlt, nimmt einem das Design Aufgaben ab, lässt sie zumindest optisch verschwinden. Die Entwürfe selbst dürfen durchaus aufdrehen, nach wie vor sehen wir Volumen, als ob es ein Polster zwischen uns und der Welt da draußen sein möchte. Wir hatten die Zeit des Minimalismus, des Maximalismus, des Playful und Dopamin-Designs. Jetzt haben wir alles auf einmal – und das wird insbesondere in den Küchen überdeutlich.
Schöne Technik
Gerade hier, im Zentrum von allem, treffen Gegensätze aufeinander: Technik und Gefühl, Ordnung und Ausdruck, Ruhe und Bestimmtheit. Küchen spiegeln Haltungen. Gaggenau etwa differenziert klar zwischen zwei Linien: Die Expressive-Kollektion setzt auf starke Formen und sichtbare Präsenz. Die neue Minimalistic-Linie hingegen hält sich zurück, integriert sich nahtlos in die Innenarchitektur. Eine grifflose Ästhetik versteht sich hier von selbst, das Spektakuläre ist das kaum Sichtbare. Bedienelemente und Displays muss man im ersten Moment fast suchen. Der Drehknopf: ein Edelstahlring, der sich bei Annäherung aktiviert und wie zu schweben scheint. Der Luxus dieser Küche: die Präzision – und die 19 verschiedenen Varianten, die der Kaffeevollautomat draufhat, das kann schon was.
Kühl in der Formensprache, aber atmosphärisch dicht ist auch die Sienna 6260 von Ecotone, die Kollektion trägt den Namen New Era. Das Ensemble exhaliert einen Hauch von Atelier-Charakter und scheint auf den ersten Blick aus Marmor zu sein. Harter, massiver, fast schon dramatisch wirkender Naturstein in einem an Kastanien und nasses Laub erinnernden Dunkelbraunton. Tatsächlich aber handelt es sich um Ecotone – bei Quartzforms der Name für eine neue Quarzoberfläche, also ein künstlich hergestelltes Material aus Quarzkomposit. Künstlich! Hier schrecken viele auf – zu Unrecht.
Design DE LUXE tauschte sich mit Marco Scapin, Kreativdirektor der hinter Quartzforms stehenden Scapin Group, aus. „Ecotone sieht echtem Naturstein zum Verwechseln ähnlich – mit raffinierter Maserung, Tiefe und Struktur. Der entscheidende Unterschied liegt in der Kombination aus Schönheit und technischer Leistung. Marmor ist edel, aber empfindlich – porös, fleckenanfällig, pflegeintensiv. Ecotone bietet die Optik von Stein, aber mit hoher Widerstandsfähigkeit, Fleckenschutz und einfacher Pflege.“ Und er macht klar: „Design darf nicht nur beeindrucken – es muss auch bestehen.“ Während es im Bad viel um Haptik gehe, stehe in der Küche die „Performance im Vordergrund“. Scapin betont, dass Ecotone beiden Welten gerecht werde, weiß aber natürlich auch um den Status von Naturstein. „Wir zollen der Tradition und Schönheit von Naturstein Respekt, er hat die Architektur und das Design jahrhundertelang geprägt. Wir versuchen nicht, ihn zu ersetzen, sondern darauf aufzubauen. Für uns ist Ecotone die Zukunft: aus Recyclingmaterialien und biobasiertem Harz hergestellt – unterstützt von 60 Prozent Windenergie und 80 Prozent recyceltem Wasser.“ Der Trend sei die Balance, wie Scapin philosophisch einstreut: „Zwischen Natur und Technologie, Schönheit und Widerstandsfähigkeit, Tradition und Innovation.“ Das Leben besteht aus Dualität – und das Interior ist da keine Ausnahme. Nicht mehr.
Reine Gefühlssache
Im Bad spielt also die Haptik eine große Rolle. Neben Farbe und Form gewinnt sie als dritte Dimension immer mehr an Bedeutung, ist nicht zu übersehen. Haptik ist Haltung, Multisensorik ist entscheidend. Wir wissen längst, dass es gerade im Badezimmer nicht nur um die optische Wahrnehmung, sondern auch um das intuitive Empfinden geht, um Oberflächen mit Tiefgang. Ein Waschtisch darf heute rau wie Gestein, soft wie Satin oder ultramatt wie Porzellan sein. Entscheidend ist: Die Oberfläche kommuniziert – und spricht uns an. Zwei bezaubernde Beispiele: das Aufsatz-Waschbecken Falala, das die Italienerin Elena Salmistraro für Ceramica Flaminia entworfen hat. Inspiriert von afrikanischen Flechtkörben, mit einem Relief aus Punkten und in unzähligen farblichen Varianten, wobei Terrakotta besonders stimmig ist. Oder aber Massicci von Marco Zito für Agape – das es im aktuell gefeierten, aber definitiv zeitlosen Swift-Orangeton gibt. Keine Keramik, sondern massives Glas. „Die Form entwickelte sich nicht aus einer grafischen Idee, sondern aus dem Wesen des Glases selbst“, betont der Designer. Entwurf und Fertigung hätten sich gegenseitig über zwei Jahre hinweg beeinflusst. „Wenn massives Glas auf die Form trifft, kühlt die äußere Schicht schneller ab. Dadurch entsteht ein feines ‚Flirren‘ im Material, eine leicht unregelmäßige, fast gehämmerte Textur.“ Während man beim Glas immer auch mit dem überlieferten Wissen der Glasmeister arbeitet, nehmen neue Materialien immer mehr Raum ein. Etwa gewobenes Metall, das De Castelli heuer in Mailand (Kollektion Ordita) präsentiert hat. Oder all die Labels, die mit Pilzfasern auf sich aufmerksam machen. Spannend: die erste Kollektion von Aifunghi, gegründet von zwei Alumni des Unternehmens moooi, das für expressives, verspieltes Design bekannt ist. Dementsprechend möchte Aifunghi das Thema Nachhaltigkeit ein bisschen sexier positionieren, wie die Gründer zum Launch bei der 3daysofdesign in Kopenhagen im Juni versprachen. Die Problematik ist ja auch wirklich bekannt. Schon seit Jahren wachsen immer wieder vereinzelte Stücke aus Myzel (das Wurzelgeflecht der Pilze) aus dem Designboden, aber so wirklich ist der Funke nie übergesprungen. Feine Poren, natürliche Unebenheiten – die Möbel wirken fast, als wären sie nicht gefertigt worden, sondern gewachsen.
Durchaus vergleichbar: Objekte aus Abfall, aus Wasted Love. An dieser Stelle stöhnen Schöngeister gerne mal auf, zu viele Jahre lang bedeutete das stilistisch fragwürdige Umhängetaschen aus Lkws-Planen oder seltsame Gebilde aus Tetrapacks. Mittlerweile ist die Technik aber auf der Seite der Designaffinen. Die Französin Marine Peyre präsentiert auf der kommenden Maison&Objet etwa eine, wie sie es nennt, gleichermaßen minimalistische wie poppige Kollektion aus Produkten (etwa Spiegel, Vasen und Stehleuchten) aus Papier. Konkret: „Ich habe ein recyceltes Material verwendet, das aus Abfallpapier – Drop Paper von Procedes Chenel – sowie Abfallholz besteht.“ Das Ergebnis erinnert ein wenig an Terrazzo, die Sprenkel-Sensation der letzten Jahre, die nicht vorhat, von der Bildfläche zu verschwinden. Immer neue spannende Varianten tauchen am Markt auf, uns haben es besonders die Kollektionen von M.I.P.A. angetan, der Almost-all-over-Look ist mutig, und Mut tut gut.
Bold personalities
Von hart zu zart. Die Message: Weiche, organische Formen bleiben, weil sie das Auge entspannen und den Raum atmen lassen. Sie bringen eine sinnliche Ruhe ins Interior, die im Kontrast zu kühlen Materialien (Stein! Metall! Glas!) und klaren Linien noch stärker wirkt. Sie sprechen das Urbedürfnis nach Harmonie an, nach Balance, und symbolisieren eine neue Ära von stark. Chunky Keramik (gehypt: der Schwede Gustaf Westmann) huldigt der „Form follows fantasy“-Philosophie. Alles wirkt irgendwie gummibärig, aufgeblasen, einfach richtig viel des Guten. Auch Sitzmöbel bleiben voluminös, wenn auch in einer gemäßigteren Variante. Die Gaia-Produktfamilie ist so ein Beispiel, Design: Monica Armani für KFF. Das erste Modell – ein Dinner-Chair – stammt aus dem Jahr 2018. Die Gestalterin: „Bei der Entwicklung dieser neuen Stuhlfamilie hatte ich eine Blume im Sinn, in deren Blütenblätter ich mich hineinfallen lasse.“ Wer will das nicht? Heuer neu: das Modell Gaia Divano, ein Loungemöbel und die konsequente Weiterentwicklung der Ursprungsidee. Oder man nimmt die Marie-Serie von Freifrau, die man fast schon als moderne Klassiker bezeichnen kann. Der Marie-Schaukelsessel (Varianten mit niedrigem und hohem Rückenteil) erinnert ein bisschen an eine Muschel: in fließend-organischer Form geschwungen, mit einer einladenden Sitzschale aus samtigem, türkisfarbenem („Celadon“) Stoff – ein narratives Möbelstück, das Geborgenheit ausstrahlt, und zwar mit Leichtigkeit.
Ähnliches gilt für die Nimbo-Serie der Bielefelder Werkstätten. Das Sofa wirkt, als hätte jemand eine Wolke gezähmt und in Form gebracht – es ist kein Möbelstück, das den Raum verstellt, es öffnet ihn vielmehr. Und so wie jeder in Wolkengebilden etwas anderes erkennt, so verhält es sich auch mit den Sofa-Elementen. Man stellt sich zusammen, was für einen passt.
Ein Sofa wie Nimbo oder eine Schaukel wie Marie sind Emotional Pieces – als Antagonisten zu den Signature Pieces, die die letzten Jahre bestimmt haben. Sie sind Luxus, aber ohne Lärm. Materialien dürfen strahlen, Formen dürfen auffallen – aber nichts will sich aufdrängen. Nicht selten oszillieren die Entwürfe zwischen Heritage und Hypermoderne. Und wer doch noch eine Wow-Investition sucht, der greift nach wie vor am besten zu Lichtskulpturen, gerne über der Kochinsel, wie das Staging von next125 illustriert. Die nx914 mit ihren bronzefarbenen Spiegelglas-Fronten ist imposant – und die darüber platzierte moderne Kronleuchter-Variante macht’s noch dramatischer. Sockel, Griffmulden oder Innenschübe – alles kann illuminiert und inszeniert werden, hier strahlt der ganze Raum. Auch die üblichen Verdächtigen wie Artemide oder Tim Dixon (Melted feiert heuer 10-Jähriges mit einer Bronze-Edition!) setzen das Spotlight gekonnt. Wenn wir uns für ein Stück entscheiden müssten, wäre es die kabellose Tischleuchte Trois Rois von Artemide (Herzog & de Meuron) – bitte in Red Velvet. Weil das auch so schön zum Herbst passt. Und zum Soft-Organic-Trend. Und zur Haptik. Man kann mit Fug und Finesse behaupten: zu allem. Cozy & crisp, so gefällt uns die dritte Jahreszeit.