
Düfte von © Estoras
Die neue Duftavantgarde: Parfümeure aus Österreich
Von alchemistischen Apothekern über aristokratische Abenteurer bis hin zu duftverliebten Historikern: Österreichische Parfümeure verleihen dem Nischenparfum eine neue Stimme – sinnlich, intellektuell und tief verwurzelt in Geschichte und Handwerk.
Während sich die große Parfumindustrie in immer neuen Launches überschlägt, arbeiten drei österreichische Parfümeure an etwas anderem: an Düften, die Geschichten erzählen, Traditionen neu interpretieren und den Geruchssinn als kulturelles Phänomen ernst nehmen. Paul Divjak, Paul-Anton Esterházy von ESTORAS und Alexander Lauber von Wiener Blut repräsentieren eine neue Generation von Duftkreateuren, die Parfum als Kunstform und historisches Dokument verstehen.
Paul Divjak: Wenn die Apotheke zum Atelier wird
Paul Divjak ist Künstler, Autor und Duftphilosoph in einer Person. Seine Zusammenarbeit mit der Wiener Traditionslinie Saint Charles brachte drei bemerkenswerte Parfums hervor: Dulcis, Viridis und Clarus. Diese Düfte entstehen nicht im Labor großer Konzerne, sondern in einer Apotheke, wo jahrhundertealtes pharmazeutisches Wissen auf moderne Parfumkunst trifft.
"Die Poesie der Moleküle, die Wirkmächtigkeit des Flüchtigen stellt für mich seit meiner Kindheit ein begeisterndes Faszinosum dar", erklärt Divjak seine Motivation. Seine Düfte sind keine leichten Konsumprodukte, sondern konzentrierte Kompositionen, die Zeit und Aufmerksamkeit fordern. Sie riechen nicht gefällig – sie riechen präzise.
© Divjak
Divjak, der 2016 das Buch "Der Geruch der Welt" veröffentlichte, arbeitet bewusst langsam. Die Düfte reifen über Monate, entstehen aus einer Freundschaft zwischen Künstler und Apothekern, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Das Ergebnis sind Parfums, die sich der schnellen Kategorisierung entziehen und stattdessen eine sinnliche Reise durch die Welt der Düfte anbieten.
ESTORAS: Aristokratische Abenteuer in der Flasche
Hinter ESTORAS steht Paul-Anton Esterházy, Nachfahre einer der bedeutendsten Adelsfamilien Österreich-Ungarns. Doch statt auf historischen Lorbeeren auszuruhen, erzählt er mit seinen Parfums sehr persönliche Geschichten. Der erste Duft ANTAL ist seinem Großvater gewidmet, Prinz Antal Esterházy, einem leidenschaftlichen Rennfahrer der 1920er Jahre.
© Estoras
Fast 100 Jahre ist es her, dass Antal Esterházy gemeinsam mit seinem besten Freund Graf László Almásy – ja, dem "Englischen Patienten" – durch die Sahara reiste. Diese Expedition inspirierte ESTORAS' Gründungsduft: eine kontrollierte Komposition aus Leder, Staub und Wüstensonne, die die Ära der großen Entdecker und furchtlosen Abenteurer einfängt.
Das Design orientiert sich an der Wiener Secession und dem Art Déco der 1920er Jahre. Das ESTORAS-Logo vereint Elemente der Wiener Werkstätte, des ehemaligen Steyr-Logos und des Esterházy-Familienwappens. Sogar die Verschlüsse werden in Wien aus dem nachhaltigen Material Fasal handgefertigt, das zu 80% aus Holzspänen besteht. Die Flakons entstehen in einer kleinen Werkstatt am Fuße der Alpen, bevor die Parfums in einem Bergdorf abgefüllt werden.
Alexander Lauber: Der Duftarchäologe von Wiener Blut
Alexander Lauber nennt sich selbst einen "Duftforensiker". Seit 2009 gräbt er in Archiven, Bibliotheken und bei Auktionen nach vergessenen Parfumrezepturen und deren gesellschaftlicher Bedeutung. Was einst als persönliche Leidenschaft begann, wurde zu seinem Beruf, nachdem ihn die Arbeit als Creative Director nicht mehr erfüllte.
Der in Massachusetts geborene und oft umgezogene Lauber fand seine Identität in der k.u.k. Monarchie und deren Duftkultur. Er entdeckte historische Parfums mit Namen wie Yachtclub, Berliner Wasser oder Kiss Me Quick und entwickelte daraus sein erstes eigenes Parfum: das "Klubwasser" mit Kümmelnote und grüner Blumigkeit.
© Wiener Blut
Sein Label "Wiener Blut" referenziert auf das Wien um 1873, als die Stadt mit der 5. Weltausstellung die Welt beeindruckte. Lauber interpretiert die damaligen Taschentuch-Parfums neu, dekonstruiert ihre Rezepturen und verfeinert sie zu eigenständigen Kreationen. Parfums wie Sale Marino, Volkamaria oder Ex Voto entstehen in Kollaboration mit internationalen Parfümeuren wie Pierre-Constantin Gúeros und Mark Buxton.
Sein neuester Duft "Ballroom Bohème" war sogar die offizielle Ballspende des Wiener Opernballs 2025. Für Lauber ist die Nelke, die den Duft prägt, eine Metapher für die politische Lage des 19. Jahrhunderts: "Das in Nelken enthaltene Eugenol wurde als Betäubungsmittel eingesetzt. Die Tanz- und Ballmanie der Wiener Gesellschaft könnte eine Art Eskapismus gewesen sein – man wollte das Verblassen des imperialen Zeitalters nicht wahrhaben."
Yogesh: Der Duftmagier
Yogesh versteht Parfum als lebendige Verbindung zwischen Körper, Geist und Duft. Schon ein kurzer Atemzug – etwa am Hals oder an einem getragenen Schal – genügt ihm, um zu erkennen, welche der fünf Elemente im Körper einer Person besonders stark ausgeprägt sind und welche aus dem Gleichgewicht geraten sind. Diese Balance ist entscheidend: Ein Übermaß oder Mangel kann sich in Gereiztheit, Unruhe oder Schwere äußern.
Darauf aufbauend komponiert Yogesh ein maßgeschneidertes Parfum, das genau auf die energetische Signatur der Trägerin oder des Trägers abgestimmt ist. Mithilfe spezifischer Basisnoten harmonisiert er die inneren Elemente, anschließend ergänzt er sie um Herznoten, die Persönlichkeit und Stimmung widerspiegeln.
Nach etwa einer Woche erhält man vier Duftkompositionen zur Probe – jede davon eine mögliche Variante der eigenen Duftidentität. Aufgetragen auf Nacken und Puls entfalten sie sich im Zusammenspiel mit der individuellen Körperchemie – und offenbaren, welcher Duft wirklich eins wird mit der Person.
Daneben gibt es auch die Series: sorgfältig gefertigte Parfums, die mit derselben Hingabe komponiert sind, jedoch nicht individuell abgestimmt werden. Sie beruhen auf der universellen Wirkung der Basisnoten und sind Ausdruck einer harmonischen Duftphilosophie, die für alle funktioniert.
Titelbild: © Estoras