Multifunktionale Räume neu gedacht – Wie modulare Architektur unser Wohnen revolutioniert

Klimakrise, Urbanisierung, Mobilitätswandel, demografische Verschiebungen und ein sich rapide veränderndes Arbeits- und Sozialverhalten verlangen nach neuen räumlichen Konzepten.

Die architektonische Praxis befindet sich an einem Wendepunkt. Die Parameter, die einst den Wohnbau bestimmten – statische Grundrisse, klar getrennte Funktionszonen, langfristige Nutzungslogiken – stehen zunehmend im Widerspruch zu den dynamischen Anforderungen zeitgenössischer Lebensrealitäten. Klimakrise, Urbanisierung, Mobilitätswandel, demografische Verschiebungen und ein sich rapide veränderndes Arbeits- und Sozialverhalten verlangen nach neuen räumlichen Konzepten.

Modulare Architektur in Verbindung mit adaptiven, multifunktionalen Grundrisslösungen bietet hierfür nicht nur eine pragmatische Antwort, sondern auch ein radikal neues Denken des Wohnens selbst. Sie stellt konventionelle Vorstellungen von Permanenz, Raumprogrammen und Hierarchien infrage – und bringt eine Architektur hervor, die nicht nur reagiert, sondern proaktiv gestaltet.

Mikrohäuser: Reduktion als Strategie

Tiny Houses sind mehr als ein temporärer Trend oder ein Ausweg aus der Wohnungsnot – sie sind ein Reallabor für verdichtetes, intelligentes Wohnen. Die Herausforderung liegt nicht nur im Flächenminimum, sondern in der raumplanerischen Qualität, mit der dieses Minimum maximal funktional, atmosphärisch und ästhetisch aufgeladen wird.

Koda by Kodasema ist eines der konsequentesten Beispiele dieser Typologie: Das estnische Architekt:innenkollektiv entwickelte eine transportable Mikroeinheit, die sich durch radikale Vorfertigung und maximale Mobilität auszeichnet. Der modulare Kubus – in Varianten von 26 bis knapp 40 m² – kann in wenigen Stunden aufgestellt und vollständig autark betrieben werden. Seine Raumorganisation ist bewusst offen gehalten: Schlafen, Arbeiten, Wohnen und Kochen fließen ineinander, unterstützt durch gezielt gesetzte Öffnungen, Einbaumöbel und eine klare Materialität. Holz, Glas, Beton – reduziert auf das Wesentliche, und doch mit hoher räumlicher Wirkung.

Modulare Systeme

Während Mikrohäuser auf Einzelpersonen oder kleine Haushalte zielen, denkt Studiolada Architects mit ihrem Projekt Maison Open Source die Modularität im Kontext von gemeinschaftlichem, nachhaltigem Wohnbau. Das als open-source publizierte Konzept basiert auf einem strukturellen Holzbau-Raster, in das verschiedene Raumtypen eingeschoben werden können. Die architektonische Innovation liegt in der Reduktion auf das unbedingt Notwendige – einer Haltung, die sich an der ruralen Bautradition Lothringens orientiert, aber ins 21. Jahrhundert überführt wurde.

Die bauliche Modularität ermöglicht nicht nur verschiedene Typologien (Reihen-, Einzel- oder Clusterhaus), sondern auch eine Flexibilität in der Nutzung über Lebensphasen hinweg. Räume können umgewidmet, verbunden, erweitert oder geschlossen werden – ohne massive Umbauten.

Adaptive Grundrisse: Ohne festes Programm

Ein zentrales Element multifunktionaler Architektur ist die Auflösung starrer Raumzuschreibungen. Statt des klassischen Dreiklangs – Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche – entstehen Räume, die sich durch verschiebbare Elemente, intelligente Möblierung und digitale Steuerung an wechselnde Nutzungen anpassen lassen.

Beispielhaft sind hier modulare Apartmentlösungen aus Japan, wo auf engstem Raum mit fusuma und shoji – transluzente Schiebewände – flexibel zoniert wird. Doch auch in Europa entstehen zunehmend Wohnkonzepte, die diese Logik aufnehmen. Forschungsprojekte an Universitäten wie der TU Wien, ETH Zürich oder der TU Delft zeigen: Digitale Planungs- und Fertigungsmethoden ermöglichen inzwischen millimetergenaue, kosteneffiziente Systeme für mobile Wände, intelligente Trennwände oder „room-in-room“-Systeme.

Das Haus als Plattform

Die Idee der reversiblen Architektur, also der Fähigkeit von Bauten, sich vollständig oder in Teilen rückbauen und neu zusammensetzen zu lassen, ist in der Modulbauweise inhärent angelegt. Sie entspricht einem zirkulären Bauverständnis, bei dem Bauteile als Ressourcen verstanden werden. Projekte wie beispielsweise von Werner Sobek zeigen die Potenziale, wenn Modularität nicht nur auf den Raum, sondern auf Material und Lebenszyklus angewandt wird.

(c) Kodasema;Studiolada Architects ; Werner Sobek