Refik Anadol Studio wurde 2014 in Los Angeles gegründet und übersetzt Datenströme in immersive Kunstwerke. Mit einem internationalen Team aus Kreativen und Forschenden entstehen poetische Datenskulpturen und audiovisuelle Performances, die Technologie, Raum und Erinnerung in ein neues Licht rücken. 

Mit Design DE LUXE sprach Refik Anadol darüber, warum er KI nicht als Bedrohung, sondern als inspirierenden Partner sieht und weshalb Gartenarbeit die bessere Metapher für Gestaltung ist als jeder Designprozess. 

Welche Rolle spielt KI für Sie als Künstler? Ist sie Material, Medium oder Sparringspartnerin? Für mich ist KI ein lebendiges, sich stetig weiterentwickelndes Medium – zugleich Kooperationspartnerin und Material. Sie erweitert meine Vorstellungskraft in Bereiche, die ich allein nie erreichen könnte, und offenbart Verbindungen, Farben und Formen, die in Daten verborgen liegen. KI ist kein Ersatz für menschliche Kreativität, sondern deren Verstärker, Spiegel – und manchmal auch eigenständige Träumerin. Sie verwandelt Daten in visuelle Erlebnisse.

Wie verändert sich Design, wenn es nicht mehr ausschließlich Produkt menschlicher Kreativität ist, sondern auch KI einbezogen wird? Wenn KI Teil des kreativen Prozesses wird, geht es weniger darum, eine feste Vision durchzusetzen, sondern vielmehr darum, einen Dialog oder eine Zusammenarbeit zu gestalten. Ich definiere die Rahmenbedingungen – Datensätze, Algorithmen und ästhetische Grenzen –, doch das System liefert seine eigenen unerwarteten Interpretationen. Für mich ist Gartenarbeit eine treffende Metapher: Man kultiviert, reagiert und lässt Wachstum zu, das sich nicht vollständig vorhersagen lässt.

Was wäre in Ihren Augen ein ethisch akzeptables Szenario für KI in Kunst und Architektur? Ein ethischer Ansatz beginnt mit Transparenz – also der Offenlegung der Herkunft der Daten, ihrer Verwendung und der Narrative, die sie transportieren. In unserem Studio verpflichten wir uns, ethisch einwandfrei beschaffte Datensätze zu nutzen, die Privatsphäre zu wahren und unsere Prozesse offen zu teilen. Ich bin überzeugt, dass KI in Kunst und Architektur den Zugang erweitern und neue Formen des kulturellen Gedächtnisses, der Bildung und der Vorstellungskraft schaffen sollte, anstatt bestehende Ungleichheiten zu vertiefen. Im besten Fall wird KI zu einem Werkzeug für kollektives Geschichtenerzählen, indem sich Gemeinschaften wiederfinden und gestärkt werden.

Wie emotional reagieren Menschen auf Ihre Arbeit? Erleben sie KI als menschlich oder fremd? Viele Menschen berichten mir, dass sie in meinen Arbeiten sowohl Vertrautes als auch Unbekanntes spüren – eine emotionale Resonanz, die menschlich wirkt, aber durch nicht-menschliche Kanäle gefiltert wird. Diese Spannung empfinde ich als sehr kraftvoll. Sie erinnert uns daran, dass Intelligenz nicht menschlich sein muss, um poetisch zu sein, und dass Schönheit aus Systemen entstehen kann, die wir nicht vollständig verstehen.

Refik Anadol: Unsupervised 

Von 19. November 2022 bis 5. März 2023 zeigte das Museum of Modern Art in New York die erste große Nordamerika-Soloausstellung des Medienkünstlers Refik Anadol. Unter dem Titel „Unsupervised“ verwandelte die monumentale Installation über 200 Jahre Kunstgeschichte aus der MoMA-Sammlung in ein visuelles „Traumprotokoll“ einer Maschine. Mithilfe künstlicher Intelligenz entstanden in Echtzeit immer neue, fluid anmutende Bildwelten – beeinflusst von Licht, Bewegung, Wetter und den Besuchern im Raum. Anadol untersuchte damit die Grenzen zwischen Realität und Imagination, Mensch und Maschine sowie Vergangenheit und Zukunft der Kunst.