
Coffee as Canvas: Wenn Latte Art zur Design-Disziplin wird
Die Basis ist recht unspektakulär: Espresso, Milch, Schaum. Doch in der Hand geübter Baristas wird daraus ein Medium, das Linien, Flächen und Formen zulässt. Design DE LUXE kennt das Who’s Who der Latte Art.
Schon in den 1980er Jahren begann David Schomer in Seattle, mit dem Schaum zu zeichnen. Mit kontrollierten Bewegungen goss er Herzen und Rosetten in die Tassen seiner Gäste. Sein italienischer Kollege Luigi Lupi dokumentierte ähnliche Experimente in Videos und Workshops, die um die Welt gingen. Aus dieser Geste – dem „Free Pour“ – entwickelte sich eine Disziplin, die heute auf Bühnen in London, Genf oder Seoul gefeiert wird.
Was bei Schomer und Lupi noch ein spielerisches Ornament war, ist heute ein hochpräziser gestalterischer Akt. Die Italienerin Manuela Fensore, Weltmeisterin 2019, gießt Linien, die so scharf wirken, als wären sie gezeichnet. Ihre Muster – Blätter, Tulpen, Rosetten – haben die Strenge von Typografie. Jeder Schwung ist exakt, kein Tropfen überflüssig. Ihre Tassen sind kleine Lektionen in visueller Klarheit.
© Manuela Fensore
Ganz anders Yi-Chen Xie aus Taiwan. Weltmeister 2024, erzählt er Geschichten im Schaum. Mit minimalen Bewegungen erscheinen Wale, Vögel oder Fabelwesen auf der Oberfläche. Seine Latte Art ist nicht grafisch, sondern erzählerisch – fast wie Illustrationen, die im nächsten Augenblick verschwinden.
© Yi-Chen Xie
Wenn Kaffee zur Leinwand wird
Die vielleicht radikalste Erweiterung des Genres kommt aus Seoul. Lee Kang-bin malt mit farbigem Milchschaum: Van Goghs Sternennacht, Disney-Figuren, florale Muster in zarten Pastelltönen. Er benutzt Pinsel und feine Werkzeuge, die Tasse wird bei ihm tatsächlich zum Bildträger. „CreamArt“ nennt er das – eine Miniaturmalerei, die nur Sekunden existiert.
© Lee Kang-bin
Ähnlich performativ arbeitet Michael Breach in den USA. Statt abstrakter Muster entstehen in seinen Tassen Porträts: Beyoncé, David Bowie, sogar Leonardo da Vinci. Er arbeitet live bei Events, oft unter Kameras. Der Kaffee ist bei ihm weniger Getränk als Spektakel – Latte Art als Performancekunst.
© Michael Breach
Der Kaffee als Display
Die Wahl der Tasse ist Teil dieser Ästhetik. Dunkle Keramiken verstärken Kontraste, flache Cappuccino-Schalen bieten großzügige Flächen, fast wie Leinwände. Dünnwandiges Porzellan bringt Präzision in die Linien. Baristas reagieren darauf wie Designer:innen auf Materialität – jede Form eröffnet eine andere gestalterische Möglichkeit.
Caleb Cha, Weltmeister 2015, nutzt genau das. Mit farbiger Milch und breiten Tassen baut er Muster auf, die wie textile Ornamente wirken – mehrschichtig, rhythmisch, beinahe architektonisch. Seine Tassen erinnern an Pop-Art, bunt, komplex, energetisch.
© Caleb Cha
Chen Zhuohao aus China verfolgt den gegenteiligen Ansatz: absolute Präzision. Als Weltmeister 2025 in Genf zeigte er Motive, die so exakt symmetrisch und klar konturiert sind, dass sie fast wie digital gedruckt wirken. Seine Latte Art ist die Grenze zwischen Handwerk und Maschinenästhetik.
© Chen Zhuohao
Zwischen Humor und Community
Nicht alle Baristas suchen das Monumentale. Barista Brian aus Kanada nutzt den Schaum für Karikaturen und Comicfiguren. Seine Tassen sind verspielt, oft humorvoll, manchmal fast satirisch. Eine Erinnerung daran, dass Coffee Art auch Leichtigkeit haben darf.
© Barista Brian
Morgan Eckroth wiederum, US-Barista-Champion 2022, bringt Latte Art in den digitalen Raum. Unter dem Namen MorganDrinksCoffee teilt sie auf TikTok und YouTube klassische Rosetten und Tassenbilder mit Millionen Fans. Ihr Einfluss liegt nicht in der formalen Innovation, sondern darin, eine globale Community für diese Kunstform aufzubauen – eine Verbindung von Handwerk und digitaler Kultur.
© Morgan Eckroth
Latte Art verschwindet zwar wirklich mit dem ersten Schluck. Gleichzeitig ist sie über Social Media unendlich reproduzierbar. Die Tasse selbst ist ephemer, aber das Picture davon bleibt.