Materialien. Sie geben Häusern ihr Gesicht, halten draußen, was man drinnen nicht haben mag und prägen die Identität ganzer Grätzel.
Was haben die Oper von Sydney und die Wotrubakirche in Wien gemeinsam? Sie zeigen Sichtbeton in seiner schönsten Form und gelten als Meisterwerke der Architektur. In Sachen Glasfassaden gehören die Elbphilharmonie in Hamburg, die Pyramide des Louvre, das Haas-Haus und das berühmte Farnsworth House von Mies van der Rohe zu den Landmarks ihrer Regionen – auch wenn Hans Hollein und Herr van der Rohe dafür zunächst wenig Anerkennung bekamen. Und ganz Wien ist von den Gründerzeitfassaden geprägt, die mit ihrer Struktur und ihren schmückenden Elementen weltweit als Inbegriff imperialen Charmes gelten.
Fassaden sind der erste Anblick jedes Gebäudes, sie entscheiden darüber, ob man einen zweiten Blick auf die Architektur wirft oder einfach weitergeht und bestimmen die Identität eines Bauwerks – manchmal sogar eines ganzen Stadtteils. Wobei der Weg eigentlich umgekehrt gedacht ist: Die Architektur und somit die Entscheidung für Form und Materialität der Fassade sollte sich dem Umfeld anpassen und nicht umgekehrt. Was bei vielen großen Landmark-Projekten auch zunächst so passiert, auch wenn diese Zusammenhänge später angesichts der spektakulären Fassaden fast vergessen wurden.
Wie etwa in Bilbao, wo der amerikanische Architekt Frank O. Gehry mit einer silbrig-gräulichen Metall-Fassade der bis dahin nicht (mehr) besonders glorreichen Geschichte der Stadt Tribut zollen wollte. Und letztendlich an der Wiederbelebung nicht nur des Grätzels, sondern der ganzen Stadt und sogar Region beteiligt war. Denn was heute als Meisterwerk der Avantgarde-Architektur des 20. Jahrhunderts gilt, hat seine Außenhülle mit den „Schuppen“, die an die Textur von Fischen erinnern, bekommen, weil Gehry mit den Metallen Titan und Stahl der Umgebung am Fluss und der Vergangenheit der damals etwas heruntergekommenen Industriestadt Tribut zollen wollte. Was dabei herausgekommen ist, ist Geschichte und hat sogar einen eigenen Namen bekommen: Der Bilbao-Effekt beschreibt heute, wie spektakuläre Architektur ganze Orte und sogar Landstriche aufwerten kann.
Große Diva versus dezent im Hintergrund
Wobei naturgemäß nicht jede Fassade spektakulär ist – und auch gar nicht sein soll, wie Michael Porath, Partner von Dietrich Untertrifaller Architekten, erklärt. „Natürlich kann eine Fassade das Gesicht einer Stadt tragen oder zur Adressbildung beitragen. Aber auch extrem in den Hintergrund treten und sich zurücknehmen, was oft eher unser Ansatz ist“, so der Architekt. Denn anders als manch andere Büros hat sich Dietrich Untertrifaller Architekten nicht auf ein Material bei den Fassaden konzentriert, sondern wählen je nach Gebäudetypologie, der Nutzung und dem städtebaulichen Kontext das Material, das das Gebäude umhüllt. „Ein Bürogebäude braucht beispielsweise eher ein Material wie Glas, das das Ausleuchten der tiefer liegenden Bereiche unterstützt. Während man sich in einem Wohnhaus auch mal verstecken mag“, beschreibt er, welche Faktoren bei der Entscheidung für die Materialität eine Rolle spielen.
Die manchmal auch ganz ungewöhnlich sein kann, um die Identität eines Ortes zu unterstreichen. Ein Beispiel dafür ist die Stadtbibliothek von Dornbirn, die Dietrich Untertrifaller Architekten mit einer Hülle aus aufrechten, luftig aneinandergereihten Keramikelementen umgeben hat, die an Bücher erinnern und im Inneren für gutes Leselicht sorgen.
Auch in Sachen Nachhaltigkeit müsse man unterschiedliche Aspekte in die Bewertung einfließen lassen: „Denn natürlich ist eine Holzfassade in der Gesamtbilanz positiv, während für eine Metallfassade ein energetischer Aufwand nötig ist. Dafür hält eine Metallfassade aber auch 50 Jahre oder länger, während eine Holzfassade meist nach 20 bis 30 Jahren erneuert werden muss“, erklärt Michael Porath.
Inflationäre Begrünungen
Bei den aktuell so populären begrünten Fassaden lohnt sich ein genaueres Hinschauen besonders. „Die werden derzeit fast inflationär verwendet, sind aber leider oft nur ein ökologisches Feigenblatt“, bedauert er. Denn während eine gut gemachte Begrünung viele Vorteile wie eine nachweisliche Kühlung habe, mache es keinen Sinn, „im dritten Stock ein paar Pflanztröge hinzuhängen, die man kaum warten kann“, so der Architekt. „Da wäre es manchmal sinnvoller, drei Bäume vor das Haus zu stellen.“
Um sich für die richtige Fassade beim eigenen Haus entscheiden zu können, ist es wichtig, zunächst die Grundlagen und verschiedenen Fassadentypen zu verstehen, auf die dann vielleicht später spannende Materialien wie Metall, Kunststoff oder Sichtbeton aufgezogen wird.
Zu den Experten, die das ganz genau und trotzdem verständlich erklären können, gehört Ewald Hasler, Professor an der FH Joanneum mit Schwerpunkt Fassadengestaltung. „Bei der großen Anzahl der Wohngebäude kommen meist drei Systeme zu Anwendung“, erklärt er. Das erste ist der Ziegel- oder Mauerstein, wie wir ihn beispielsweise von den Gründerzeitbauten kennen, auf den dann Putz aufgetragen wird, der unter anderem die Farbe der Fassade bestimmt.
Das zweite System ist das heute am weitesten verbreitete Wärmeverbundsystem, bei dem auf Stahlbeton oder Ziegel Dämmungen aufgetragen werden, ehe die Fassade verputzt wird. Was die bei Weitem günstigste Variante ist, für eine gute Dämmung sorgt und für den Laien kaum einen Unterschied zu den aufwendigeren hinterlüfteten Fassaden erkennbar macht – zumindest am Anfang nicht. Nach ein paar Jahren wird dann allerdings ein Grund für den Preisunterschied ersichtlich: „Diese Fassaden neigen ab einem Alter von fünf Jahren sehr stark dazu, zu veralgen“, erklärt Hasler. „Dann werden sie grünlich oder grau, aber leider nicht schön gleichmäßig. Eine Reinigung ist teuer, und deshalb lebt man damit. Zumal es sich dabei nicht
um Schimmel, sondern ein rein optisches Problem handelt.“ Ein weiterer Nachteil dieser Fassaden liegt in der Entsorgung. „Dadurch, dass hier in aller Regel mineralische und organische Materialien miteinander verklebt werden, sind sie nicht gut trennbar“, so der Professor über die Fassadenart, die derzeit vor allem im sozialen Wohnbau und bei privaten Häuslbauern mit begrenztem Budget zum Einsatz kommt. „Denn die Erfahrung zeigt uns, dass die Entscheidung für die Fassade meist zum Schluss gefällt wird, wenn kein Geld mehr da ist“, fügt er hinzu.
Die Variante, die heute buchstäblich hinter fast allen spektakulären Fassaden steht, hört auf den etwas sperrigen Namen „hinterlüftete Fassade“, was bedeutet, dass vor das tragende Element – etwa Mauerwerk oder Beton – zunächst Wärmedämmung und dann eine nichttragende Fassade montiert wird, die zwar vor Regen, Sonne und Schnee schützt, aber nicht luftdicht abgeschlossen ist – womit Feuchtigkeit abgeführt werden kann. Das ist zwar deutlich teuer in der Herstellung – Hasler gibt als Unterschied zum Wärmeverbundsystem den Faktor zehn an –, benötigt dafür aber kaum Pflege. Und ermöglicht den Architekten, nahezu alle Materialien an der Hausfront zu verwenden – was diese auch begeistert nutzen.
Stein: Der Anfang der Außenwände
Wie spannend schlichte Steinblöcke sein können, lässt sich in Wien jeden Tag im Museumsquartier besichtigen. Hier haben die Architekten von Ortner & Ortner Baukunst mit Basaltlava bewiesen, wie stark Stein wirken kann – und das in jeder Hinsicht. Wobei keineswegs nur die berühmten Schattierungen von Asch- bis zu einem frischen Steingrau in Frage kommen, sondern die Auswahl von roten Terrakotta-Tönen bis zu schneeweißen Marmorplatten reicht. Für Fassaden verwendet werden können von Basalt über Sand- und Kalkstein bis zu Schiefer, Granit und Marmor jede Menge Natursteine – die von Haus aus gute Dämmeigenschaften haben und auch bei der Entsorgung keine Probleme machen. Zu den Architekten, die mit Steinfassaden arbeiten und damit spektakuläre Gebäude geschaffen haben, gehören unter anderem Santiago Calatrava, Norman Foster, Rem Koolhaas, Daniel Libeskind und Zaha Hadid.
Glas: Die unendliche Leichtigkeit des Seins
Die Geschichte der Glasfassaden begann dagegen mit einem Misserfolg: Nachdem Mies van der Rohe das heute ikonische Farnsworth House, das rundum verglast war, 1951 an Bauherrin Edith Farnsworth übergab, verklagte sie ihn. Neben anderen Mängeln vor allem deshalb, weil „das Haus durchsichtig wie ein Röntgenbild“ sei, wie sie vor Gericht argumentierte. Durch kam sie damit aber nicht, das Haus gehört heute zu den nationalen Denkmälern der USA und inspirierte Legionen von Architekten zu Glasfassaden überall auf der Welt. Sie verkörpern die unendliche Leichtigkeit des Seins, lassen bis zu 80 Prozent des Tageslichts in das Gebäude und die Blicke ungestört in die Umgebung hinaus. Dabei können sie sich auch komplett zurücknehmen, etwa indem sie die Umgebung spiegeln, wie es die wohl berühmteste Glasfassade Wiens tut, die des Haas-Hauses.
Zu den neueren Ikonen mit spektakulären Fassaden aus dem Material gehört die 2016 fertiggestellte Elbphilharmonie in Hamburg, mit der die Architekten von Herzog & de Meuron der alten Hansestadt ein neues Wahrzeichen bescherten. Neben Großprojekten wie der „Elphi“ haben sie auch für Einfamilienhäuser wie die gläserne Kramer-Residenz in Kalifornien Preise gewonnen. Zu den bekanntesten Architekten in Sachen Glas gehört Philip Johnson mit seinem legendären Glass House, als gelungene Beispiele zeitgenössischer Glasarchitektur nennt Porath die Häuser des Berliner Architekturbüros Sauerbruch Hutton, „die mit viel mit Glas, Lamellen und Leichtigkeit sehr angenehm und erfrischend im Kontext sind.“ Leicht vergessen wird bei der Begeisterung über Großgebäude mit Glasfassaden, dass hinter (fast) jeder dieser spiegelnden Schönheiten buchstäblich Alufensterrahmen stecken.
„Je höher das Gebäude ist und je stärker es Faktoren wie beispielsweise Wind ausgesetzt ist, desto sicherer wird weltweit mit Alufenstern gearbeitet, weil Kunststofffenster dafür ungeeignet sind“, erklärt Harald Greger, Geschäftsführer des Wiener Aluminium-Fenster-Instituts. Zu den besten heimischen Beispielen gehört für ihn der DC Tower in Wien, „aber auch in fast jeder Landeshauptstadt finden sich entsprechende Gebäude“, erklärt er. Besonders spektakulär etwa in Innsbruck, wo Zaha Hadids Schanze auf dem Berg Isel ein Paradebeispiel für Bauwerke ist, die extremen Witterungsbedingungen trotzdem müssen. „Da ist die Fassade des Restaurants natürlich aus Aluminiumfenstern“, so Greger. Ein anderes prominentes Beispiel sei der Ikea am Wiener Westbahnhof. Wobei der Begriff „Aluminiumfenster“ viel zu sehr nach kleineren Öffnungen im Mauerwerk klingt. In der Realität handelt es sich dabei um komplett gläserne Fassadenelemente, denen das wiederverwertbare Metall Halt gibt und die in Zukunft noch mehr tragende Eigenschaften für Immobilien haben werden, wie Greger berichtet: „Durch die moderne Technik wird es auch in Sachen Energieerzeugung neue Möglichkeiten geben“, ist er überzeugt. „Denn wo lässt sich diese besser gewinnen als dort, wo die Sonne direkt auf das Glas trifft?“
Metall: Der biegsame Beginn der Patina
Um die Effekte, die Metalle auf und an den Fassaden erzielen können, wussten schon die alten Kirchenbaumeister, die auf die schöne Patina von Kupferelementen setzten. Sie sehen nicht nur edel aus, wenn sie sich von leuchtendem Orange in das typische matte Grün verwandeln, sondern sind auch fast unzerstörbar: Mit einer Lebensdauer von über 200 Jahren gehört Kupfer zu den langlebigsten Materialien überhaupt.
Zu den Architekten, die immer wieder mit spektakulären Metallfassaden Aufmerksamkeit erzielen, gehört der Pritzker-Preisträger Dominique Perrault, dessen Büro ebenfalls am DC Tower beteiligt war. Seine Metallgitter zieren Bauwerke von der Französischen Nationalbibliothek bis zu olympischen Sportstätten in Berlin – und beweisen, wie vielfältig das Material sein kann. Von glänzend und stark über leicht und luftig bis zu korrodiert-lebendig reichen die Charakteristika, von industriell und „abwaschbar“ bis zur patinierenden Persönlichkeit die optischen Möglichkeiten. „Außerdem lassen sich mit Metallelementen wie etwa Aluminium-Sidings schnell große Flächen als hinterlüftete Fassaden senkrecht, waagrecht oder schräg verkleiden – und am Ende des Lebenszyklus auch wieder sauber trennen“, erklärt Jürgen Bauer, Marketing Koordinator Österreich von Prefa-Aluminiumprodukte.
Holz: Der Beginn einer Ära
Die Ära der großformatigen Holzarchitektur hat zwar – zumindest im Vergleich zu Stein – gerade erst begonnen, dafür geht der Aufstieg aber umso rasanter voran. Nachdem in den vergangenen Jahren sowohl Änderungen in den Bauordnungen wie auch bei der Werkstoffentwicklung einige Hürden aus dem Weg geräumt haben, macht der Holzbau heute nach Angaben von Pro Holz bereits ein Viertel des gesamten Bauvolumens in Österreich aus, Tendenz steigend. Denn der Rohstoff Holz ist nicht nur nachhaltig, sondern sorgt auch für ein gutes Wohnklima und trifft vor allem optisch den Geschmack der Zeit.
Zu den Pionieren in Sachen Holzbau gehört fraglos Matteo Thun, dessen Projekte mit Holzfassaden (und -kern) sich in der arabischen Wüste genauso finden wie in Zermatt. Allerdings findet – zumindest bei unbehandeltem – Holz ein natürlicher Alterungsprozess statt, den man mögen muss. „Holz kann unfassbar schön altern, wenn es diesen silbergrauen Schleier bekommt“, schwärmt Architekt Porath. Allerdings sei es, ähnlich wie bei korrodierendem Metall, wichtig, den Bauherren die verschiedenen Stadien zu erklären, die mit dem Verwitterungsprozess auch optisch verbunden sind.
Beton: Der starke Mann
Er ist der starke Mann unter den Baustoffen, und entsprechend wirken auch die Gebäude, die auf sichtbaren Beton auch an der Fassade setzen. Daher kommt der Name „Brutalismus“ für die – zumindest frühe – Ära der Sichtbetonbauten nicht von ungefähr. Die mächtigen Bauwerke, die zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren von Architekten wie Le Corbusier gebaut wurden, verzichten auf alles Ornamentale – Anstrich inklusive – und setzen auf simple geometrischen Formen und grobe Gliederungen. William Leonard Pereira zeigt mit seiner Geisel-Bibliothek im kalifornischen La Jolla, wie kunstvoll Brutalismus trotzdem aussehen kann, und der brasilianische Stararchitekt Oscar Niemeyer schuf neue Anwendungsmöglichkeiten für den Stahlbeton und setzte das Material für seine futuristische kurvenreiche Architektur ein.
Diese formgebenden Eigenschaften des Baustoffs schätzt man auch heute noch: „Mit Sichtbeton kann einem Bauwerk eine eigene Formensprache gegeben werden. Hierzu wurden in den letzten Jahren Techniken entwickelt, die diese Gestaltungsmöglichkeiten erweitern. Neben den Chancen für die Form der Konstruktion kann er mittlerweile mit nahezu jedem Oberflächendesign und in fast jedem Farbton eingesetzt werden“, hebt Christoph Ressler, Geschäftsführer des Güteverbands Transportbeton, hervor, was den Baustoff nicht nur zu einem vielseitigen, sondern auch kostengünstigen und langlebigen Baumaterial macht. Zu den Gründen, „dass Beton in unserem Klima nicht mehr besonders modern ist“, wie es Hasler formuliert, gehöre, dass er ein sehr guter Wärmeleiter ist. Eine Eigenschaft, die in Zeiten sich aufheizender Städte weniger geschätzt wird, allerdings lassen sich für diese Problematik durch vorgehängte Betonplatten Lösungen finden, wie der FH-Professor erklärt. Mit denen dann auch wieder die schönen Seiten mineralischer Materialien – wie sie auch Pritzker-Preisträger David Chipperfield bei seinen Bauten, etwa den Crownd Stadtvillen by Chipperfield in Hietzing, häufig einsetzt – an den Fassaden wieder zum Tragen kommen können.