Industrial Living Küche von © Skylar Kang

Design & Interieur

Design Glossar: Industrial Living

Was heute nach Konzept aussieht, begann als Notlösung und ist definitiv nichts für Menschen, die es kuschelig-verspielt mögen.

Von Julia Weninger

Was einst aus der Not geboren wurde, ist heute bewusste Entscheidung für die Ästhetik des Unfertigen. Die Geschichte beginnt in den 1960er-Jahren in New York. Künstler und Kreative zogen in verlassene Fabrikhallen und Lagerhäuser, weil die Mieten niedrig waren und die Räume groß. Sie ließen die Backsteinwände unverputzt, die Rohre sichtbar, die Betonböden unbehandelt – nicht aus ästhetischen Gründen, sondern aus praktischen. Doch genau diese Ungeschliffenheit wurde zum Stil.

© Designboom Architecture & Design Magazine

Heute ist der Industrial Look eine der gefragtesten Einrichtungsrichtungen. Aus der improvisierten Atelierwohnung ist ein durchdachtes Designkonzept geworden. Ironischerweise kostet es oft mehr, diesen Look der Einfachheit zu kreieren, als eine konventionell eingerichtete Wohnung.

© Ximena Quintero

Roh, aber nicht rau

Materialien: Sichtbeton, unverputzte Ziegelwände, rohes Metall, abgenutztes Leder, unbehandeltes Holz. Der Industrial Style lebt von Materialien, die ihre Geschichte nicht verstecken. Kratzer sind kein Makel, sondern Charakter. Rost ist keine Vernachlässigung, sondern Patina.

Farben: Die Palette ist reduziert. Grau in allen Schattierungen dominiert, ergänzt durch Schwarz, Brauntöne und gelegentliche Akzente in gedecktem Rot oder Blau. Pastelltöne haben hier keinen Platz – es sei denn, sie sind verblasst und verwittert.

© Anna

Möbel: Massiv, funktional, oft mit sichtbarer Konstruktion. Ein Esstisch aus Bauholz auf Stahlbeinen, Regale aus Metallrohren und rohen Brettern, Ledersessel mit abgewetzten Armlehnen. Die Möbel sollen aussehen, als hätten sie schon ein Leben hinter sich – oder mehrere.

Licht: Industrielampen sind das Markenzeichen. Große Pendelleuchten mit sichtbarem Kabel, Fabrikscheinwerfer, Edison-Glühbirnen in Metallkäfigen. Das Licht soll nicht nur funktional sein, sondern auch die raue Ästhetik unterstreichen.

© Mansion Shots

Eine Gratwanderung

Die größte Herausforderung beim Industrial Style ist der Balanceakt zwischen Coolness und Kälte. Denn ein reiner Fabrik-Look kann schnell unwohnlich wirken, weswegen die Kunst darin besteht, die industriellen Elemente mit Wärme zu durchbrechen.

Das gelingt durch textiles Gegenwicht: Ein schwerer Wollteppich auf dem Betonboden. Leinenkissen auf dem Ledersofa. Ein handgewebter Überwurf über dem Metallbett. Diese weichen Elemente sind kein Widerspruch zum Industrial Style, sondern seine Vollendung. Sie machen aus der Kulisse einen Lebensraum.

© Mansion Shots

Auch Pflanzen spielen eine wichtige Rolle. Große, robuste Gewächse wie Monstera oder Ficus wirken wie Eindringlinge aus einer anderen Welt – und genau das macht sie so wirkungsvoll. Sie bringen Leben in die steinerne Strenge, ohne die Ästhetik zu stören.

Die Evolution

Der Industrial Style hat sich weiterentwickelt. Was früher streng und kompromisslos war, wird heute vermischt. Skandinavische Klarheit trifft auf industrielle Rohheit. Vintage-Möbel gesellen sich zu Stahlträgern und handwerkliche Details ergänzen die maschinelle Ästhetik.

© My Blog Deco

Für wen funktioniert dieser Stil?

Industrial Living ist nichts für Menschen, die es kuschelig-verspielt mögen. Der Stil verlangt nach hohen Räumen, nach großen Fenstern, nach der Bereitschaft, mit Härte zu leben. Er passt zu denen, die Purismus schätzen, die sich an wenigen, aber aussagekräftigen Objekten erfreuen können.

Und er funktioniert am besten, wenn er echt ist. Ein Altbau mit Stuck und Parkett lässt sich nicht glaubwürdig in eine Fabrikhalle verwandeln. Aber ein Haus mit Betonwänden, mit sichtbaren Installationen, mit offenen Grundrissen, das funktioniert perfekt.

© Tara McBurney

Titelbilder: © Skylar Kang

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