Von Saint Laurent bis Hadid: Marokko als Hotspot für Kunst, Stil und Garten

Handgefertigte Keramik, puristische Concept Stores und durchdachte Gartenkunst formen das neue Gesicht Marokkos. Zwischen rasanter Urbanisierung und uraltem Lehmbau entfaltet sich eine kreative Dynamik voller Kontraste.

Marokko ist so ganz anders als die anderen Länder am Mittelmeer: Ein Feuerwerk der Sinne, Düfte, warmen Farben, orientalischen Muster; Hier gibt es Oasen und Kamele, Wüste und schneebedeckte Gebirge. Das bringt seit jeher eine eigenständige Kultursezene hervor, in der Gärten und Außenräume eine wichtige Rolle spielen.

Die Tür in der 33 Rue Majorelle in Marrakesch schwingt auf, und für einen Moment blendet das Licht die Augen. Von der Straße kommend, erwartet man vielleicht traditionelle marokkanische Handwerkskunst, Lederwaren, bunte Stoffe und oder Antiquitäten. Doch was sich offenbart, ist anders, überraschend anders.

Ein kühler, minimalistischer Raum empfängt die Besucher. Glatte, polierte Betonböden, weiß getünchte Wände, an denen Kunst hängt – abstrakte, moderne Werke. Sanfte Lounge-Musik pulsiert im Hintergrund. Es duftet nach Edelhölzern und frischen Zitrusfrüchten. Auf Regalen: Handgefertigte Keramik aus der Region, aber in ungewöhnlichen Formen und Farben – tiefes Petrol, grelles Gelb, zartes Rosé. Daneben liegen Kimonos mit Mustern. Alles modern, lässig und doch edel. Ein Concept Store des neuen, unbekannteren Marokkos.

Das magische Land – an der Straße von Gibraltar nur 14 Kilometer von Spanien entfernt – war immer schon ein Meltingpot der Kulturen. Es zog seit jeher Kreative und Menschen aus der Kunst und der Modeindustrie an. Rolling Stone Mick Jagger besucht regelmäßig sein Anwesen in Marrakesch, der verstorbene Modemacher Pierre Cardin besaß hier ebenso ein Zuhause wie der französische Couturier Pierre Balmain, der ein prachtvollen Riad in Marrakesch bewohnte, das er mit einer Mischung aus französischem Chic und marokkanischer Handwerkskunst ausstattete. Das Haus wurde später in das (heutige und besuchenswerte) Restaurant Dar Moha umgewandelt. Und dann natürlich Yves Saint Laurent. Der legendäre Modeschöpfer kaufte 1980 die Villa Oasis und den angrenzenden Jardin Majorelle in Marrakesch. Die farbenprächtige Anlage wurde zu einem ikonischen Ort, der heute ein Museum beherbergt, das seinem Werk gewidmet ist. Er selbst lebte hier mit seinem Partner Pierre Bergé bis zu seinem Tod im Jahr 2008.

Außenraum im Fokus

Anders als in den sonstigen Mittelmeerländern spielt in Marokko der Außenraum eine wesentliche Rolle. Die Riads mit ihren Innenhöfen zeugen einerseits davon, die Parks und Gärten andererseits. Der starke Kontrast der blauen Fassaden, Töpfe und Brunnen zu den grünen Pflanzen im Jardin Majorelle und den gelben sowie orangefarbenen Akzenten ist einzigartig. Wo sonst gibt es ein so intensiv leuchtendes Kobaltblau, das sogar einen eigenen Namen bekam – „Majorelle-Blau“? Durch diese mutige Kombination ist der Farbton in der Gartengestaltung und im Produktdesign weltweit beliebt geworden.

Gärten wie diese basieren auf dem Konzept des Riads, dem traditionellen marokkanische Haus oder Palast mit einem Innenhof: geometrische Achsen, symmetrische Beete, Wasserspiele, schattenspendende Bäume – ein Ort der Ruhe, Kühlung und Spiritualität. Anders als die auf klassischer marokkanischer Gartenarchitektur basierenden Parks sind die Agdal- und Menara-Gärten: großflächige, wassertechnisch raffinierte Flächen mit riesigen Speicherbecken – frühe Meisterwerke nachhaltiger Landschaftsarchitektur. Die Entwicklung zieht sich heute in fort. Die Hauptstadt Rabat arbeitet an mehreren grünen Achsen entlang urbaner Entwicklungsgebiete. Hier wird versucht, Biodiversität, Freizeitnutzung und Klimaschutz gestalterisch miteinander zu verbinden – teilweise mit international tätigen Landschaftsarchitekturbüros.

Denn internationalen Einfluss ließ das Land immer schon zu, und das unterscheidet sein Erscheinungsbild heute von allen anderen Destinationen. Der Bahnhof Casa-Port in Casablanca wurde vom Pariser Architekturbüro AREP geplant und 2014 fertig gestellt – ein beeindruckender Bau zwischen der historischen Altstadt und der Hafenregion mit weit auskragendem Dach, das von 40 schlanken Betonstützen getragen wird.

Bezeichnend ist die Fassadengestaltung: Eine Moucharabieh-Fassade (dekorativen Gitterstrukturen aus der islamischen Architektur) auf der Westseite schützt vor direkter Sonneneinstrahlung, auf der anderen Seite sorgt eine Glasfassade für Transparenz und Licht und erleichtert die Orientierung für Reisende. Sie symbolisiert die Modernisierung Marokkos, die auch am jüngsten Architekturprojekt in der Hauptstadt mehr als deutlich wird. Hier erheben sich bald die mondänen organisch-fließenden Formen von Zaha Hadid Architects in den städtischen Raum, das Grand Théâtre de Rabat wird gerade gebaut. Ein weltoffeneres Statement geht kaum.

Zugleich verleugnet das Land nie seine Wurzeln, seine Herkunft und besinnt sich gerne auch auf Ursprüngliches. Etwa mit Lehmbau: Die Maison Brummell Majorelle in Marrakesch, entworfen vom neuseeländischen Studio Bergendy Cooke in Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Architekten Amine Abouraoui, ist ein skulpturales Boutique-Hotel, das sich durch seine Bauweise mit Lehm und Kalk auszeichnet. Inspiriert von der lokalen Architektur und den alten Stadtmauern von Marrakesch, präsentiert es sich als monolithische Struktur. Die Fassade ist mit einer rosafarbenen Mischung aus Erde und Kalk verkleidet. Lokale Handwerker und Materialien wie handgefertigte Fliesen, Messingelemente und Tadelakt-Gips wurden eingesetzt, um die reiche Handwerkstradition Marokkos widerzuspiegeln.

Für Zuhause


Auch für Zuhause hat sich der marokkanische Stil durchgesetzt, ob Manufaktum, HAY oder Westwing, farbenfrohe Vasen, Blumentöpfe in Erdtönen, ein handgefertigtes Geschirr mit Orientalischem Muster gibt es im Internet per Klick zu kaufen. Das spornt die jungen Wilden im Land an, in den Städten des Königreichs eröffnen Lifestyle-Hotspots mit kuratierten Produkten, Mode, Interior Design und Café-Kultur – z. B. das Norya Ayron Concept Store (Kate Moss und Sharon Stone zählen zu den Fans des Labels, es ist vor allem für seine bunten Kimonos, Kaftane und Overalls bekannt), oder das eingangs erwähnte 33 Rue Majorelle. Auch witzig: das Plus61, ein fantastisches australisch-marokkanisches Fusion-Restaurant.

Es sind also nicht allein die großen Namen wie Yves Saint Laurent, die mit Marokko assoziiert werden müssen, auch wenn er natürlich viel Inspiration für große Entwürfe in Afrika fand. „In Marrakesch habe ich Farben entdeckt, die ich in Paris nie gesehen hätte“ hatte er einmal gesagt. Viele seiner Kollektionen – insbesondere in den 1970er- und 80er-Jahren – zeigen deutlich marokkanische Einflüsse: kräftige Farben, Kaftans, Djellabas, orientalische Schnitte, Stickereien, Mosaikmuster. Aber wenn man über den Herren spricht, muss man ja eigentlich zuerst über Bill Willis reden. Die beiden verband eine enge berufliche Beziehung, die sich vor allem in Marrakesch manifestierte (Willis, ein amerikanischer Innenarchitekt, entwarf die Villa Oasis und Jardin Majorelle). Die Zusammenarbeit zwischen beiden trug wesentlich dazu bei, Marrakesch als kulturellen und kreativen Hotspot zu etablieren. Im Hotel Izza sind heute zahlreiche Hommagen an Bill Willis zu sehen, darunter eine Nachbildung seines Kamins, die nach ihm benannte „Bill’s Bar“ mit persönlichen Artefakten und Fotografien sowie Designelemente wie Tadelakt-Wände und Zellige-Fliesen, die seinen Stil widerspiegeln.

Die Zukunft Marokkos bleibt also aus Design-Sicht spannend. Im August letzten Jahres wurde bekannt, dass in Benslimane, östlich von Casablanca, das größte Fußballstadion der Welt geplant ist. 115.000 Zuschauern soll das Grand Stade Hassan II nach seiner Fertigstellung im Jahr 2028 fassen. Die Architektur, entworfen vom Konsortium Oualalou + Choi und Populous, ist von traditionellen marokkanischen Zelten inspiriert und verbindet kulturelles Erbe mit moderner Technologie – ganz marokkanisch also.

Mehr zum Thema und die vollständige Bilderstrecke finden Sie in der aktuellen Print-Ausgabe von Design Deluxe, die am 25.4.2025 erscheint.


(c) IZZA MARRAKECH; Norya Ayron; plus61.com