Die Geschichte des „barocken Throns“ beginnt nicht mit einer klassischen Skizze oder einem praktischen Bedürfnis, sondern mit einer poetischen Vision.
Eine Hommage an die Literatur, ein Dialog mit der Kunstgeschichte und ein Beweis für die unbegrenzten Möglichkeiten des Designs: Den Proust-Sessel von Alessandro Mendini kann man getrost als Möbelstück, das die Grenzen zwischen Literatur, Malerei und Design auf einlöst, bezeichnen.
Das Besondere: der Ursprung dieses Sessels liegt nicht in einer traditionellen Entwurfsskizze oder einem funktionalen Anspruch, sondern in einer künstlerischen Intuition: Kann ein Möbelstück die Gedankenwelt eines Schriftstellers reflektieren? Kann Design eine literarische Atmosphäre greifbar machen?
1976 begann Mendini, mit der Idee eines „Proust-Stoffes“ zu experimentieren. Inspiriert von Marcel Prousts monumentalem Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit und den impressionistischen Techniken von Paul Signac, suchte er nach einer gestalterischen Sprache, die beide Welten vereint. Zwei Jahre später mündete diese Idee in einem Möbelstück, das die Designwelt nachhaltig prägen sollte: die Poltrona di Proust.
Ein barocker Thron für die Moderne
Der Ausgangspunkt für den Sessel war kein eigenes Design, sondern ein barockes Möbelstück, das Mendini in einem venezianischen Landhaus entdeckte. Anstatt es nur zu restaurieren, machte er es zur Leinwand für eine radikale künstlerische Intervention: Mit Tausenden von handgemalten Farbtupfen – inspiriert vom Pointillismus des 19. Jahrhunderts – verwandelte er das antike Sitzmöbel in ein lebendiges Kunstwerk. Die Farbpalette und die vibrierende Textur schufen eine faszinierende Spannung zwischen Historie und Gegenwart
.

Seine Premiere feierte der Proust-Sessel 1978 in Ferrara auf der Ausstellung Incontri ravvicinati di architettura, kuratiert von Andrea Branzi und Ettore Sottsass. Von Beginn an war klar: Dieses Objekt war auch damals schon kein gewöhnlicher Sessel. Es war ein Manifest – eine Ode an die Idee, dass Design ebenso narrativ wie funktional sein kann, so Design-Experten.
Vom Einzelstück zur Designikone
Zunächst existierte der Proust-Sessel nur als exklusives Einzelstück. Doch die Kraft seiner Gestaltung führte dazu, dass er immer wieder neu interpretiert wurde. 1993 lancierte Cappellini die Proust Geometrica, eine Version mit grafischen Mustern. 2009 wurde das Design für die Serienproduktion adaptiert – eine Symbiose aus Kunsthandwerk und Popkultur, ganz im Geiste von Andy Warhol oder Roy Lichtenstein. Besonders spektakulär ist die Poltrona Monumentale di Proust, eine überdimensionale Version, die vollständig mit Mosaiksteinen besetzt ist und heute in der Fondazione Bisazza in Vicenza zu sehen ist.
(c) Archivio Alessandro Mendini