Die Möbelhersteller überblenden allmählich: von nachhaltig zu kreislauffähig. Und lassen sich von Designbüros dabei helfen, ihre Produkte aus der Sackgasse zu manövrieren.
Der Planet war als Erster da. Viel später kamen Höhlen und Häuser. Schließlich die Wohnungen, die sich in ihnen stapeln. Und irgendwann kam auch die Idee auf, die da hieß: Lebensraum möblieren und einrichten. Als plötzlich ein simpler Tisch und eine Bank für das ganz normale Leben nicht mehr reichen sollten, war auch schon ein anderes Prinzip der Lebensgestaltung bekannt: die Nachhaltigkeit. Ziemlich lange hatte sich die Menschheit kaum darum gekümmert, auch der nächsten Generation noch Ressourcen zu hinterlassen. Das sieht man den kahlen Gegenden der Welt an, wo einst Wälder standen. Und auch die Möbelbranche schien sich lange zu fragen, was sie denn das alles angehe. Schließlich waren manche Hersteller – vor allem in den exklusiveren Kategorien – vielfach der überheblichen Überzeugung: Wir machen Möbel so schön und so gut, dass sie ohnehin nie Müll werden. Ästhetisch zeitlos. Qualitativ wertvoll. Da werden die Stühle und Tische doch bestenfalls auf dem Dachboden geparkt, bevor sie eine Generation später wieder geliebt und benutzt werden. Diese Logik hatte einen Vorteil: Wenn man nichts wegschmeißt, muss man sich auch nicht darum kümmern, was danach daraus wird.
Doch die schlechten Klima-Nachrichten häuften sich, die Designhersteller gerieten in Erklärungsnot. Und zogen sich mit einem Etikett aus der Affäre, das sie großzügig auf ihre Produkte klebten: „Nachhaltig“ stand darauf. Inzwischen hat man es plakativ weitgehend ersetzt, weil vom Kern der Worthülse kaum noch etwas übrig war, vor lauter inflationärem Gebrauch: mit „Circular Design“. Und auch „Kreislaufwirtschaft“ kursiert in diversen Produktbeschreibungen und „Sustainability Reports“ der Designhersteller. Worum sich da die relevanten Kreise tatsächlich drehen, wissen aber viele noch gar nicht.
Deshalb ziehen die Labels dann gerne auch Design-Kapazunder zurate. Wie den Deutschen Stefan Diez, der sich nicht nur zirkuläres Denken auf die Fahnen geschrieben hat, sondern auch in ein eigens verfasstes Manifest. Gleichsam als Gesprächsgrundlage für all die Produkt-Briefings, die da kommen mögen, wenn er sich als Change-Manager der Gestaltung zu den Entscheidungsträgern in die Runde setzt. „Wir bemühen uns, mit unseren Kunden im Sinne kreislauffähiger Produkte gemeinsam so weit zu gehen wie möglich“, beschreibt Diez sein Bemühen. Und dort, wo sein Designbüro Diez Offices ansetzt, dort sind die Voraussetzungen für Veränderung nicht die einfachsten: „Denn wir liefern unsere Ansätze zur Kreislaufwirtschaft direkt im Markt unter realistischen Bedingungen“, erklärt Diez. Die gestalterischen Spielwiesen und Experimentierfelder, sie liegen woanders. Wie etwa in Rotterdam, wo sich wenige junge Designbüros bereits mutig auf innovative Materialzugänge, Produktionsmethoden oder Logistikketten einlassen. Mit zirkulären Ansätzen, in denen plötzlich Materialien eine Rolle spielen, an die man früher nie gedacht hatte. Oder aber Materialien, die man dringendst neu denken muss. Wie etwa das Plastik. Selbst das versucht man irgendwie für die Zukunft zu legitimieren. So lässt das Designstudio The New Raw in Rotterdamer Community-Werkstätten schon fleißig die 3D-Drucker rattern. Damit sie etwa neue Möbel oder Spielgeräte für den öffentlichen Raum auswerfen, geprintet aus Material, das ehemals Plastikflaschen war und im besten Fall von der lokalen Community selbst gesammelt und abgeliefert wurde. Doch Rotterdam ist nur einer der Knotenpunkte eines weltweiten Netzwerks an „Precious Plastic“-Initiativen, die ihre Ideen darüber austauschen, was aus Shampoo-Verschlüssen dereinst so alles werden könnte außer Müll. Auch Wien hat einen Circular Hub. Dort, wo die Dichte der zirkulären Projekte besonders hoch ist. In der alten Kegelhalle am Kempelenpark legt das Büro Materialnomaden den Maßstab gleich noch größer an.
Aus alt wird neu
Dort sollen nicht nur die Rohstoffe in neuen Schleifen zweite Chancen bekommen, sondern am besten gleich die Bauteile selbst. Im 10. Wiener Bezirk stapeln sich entlang der Schienen ihre Schätze, die sie geerntet haben. Aus Architekturen, die neuen weichen müssen. Oder auch aus ausrangierten S-Bahn-Garnituren. Da dürfen manche Gepäckrelings unerwartet noch ein zweites Leben als Wandregal bekommen. Doch am besten ist es, wenn die Bauteile das Baufeld gar nicht erst verlassen. Auch im Projekt des neuen Magdas Hotel in Wien haben die Materialnomaden Hunderte Leuchten mit LED-Technologien aktualisiert und zertifizieren lassen, um sie am gleichen Ort ins neue Interior-Konzept einzubetten. An anderer Stelle in Wien machte wiederum ein Bürohaus neuen Genossenschaftswohnungen Platz. Was bleiben durfte: Teile der Betonfassade. Die Materialnomaden gestalteten daraus Bänke, und die Landschaftsarchitektin Carla Lo integrierte sie in den Entwurf für den Außenraum zwischen den Häusern.
Mit kleinen Projekten den Wandel triggern, das hat sich auch Stefan Diez im Produkt-Design vorgenommen. Und gibt ein Beispiel: Wenn man bei Gartenmöbeln etwa die Sitzbezüge erneuern kann, dann sei das ein Anfang. „Aber was weitgehend fehlt, sind Einrichtungen, die diesen Service anbieten.“ Bei„zirkulären“ Ansätzen hilft nur eines: Alles auf einmal neu denken. Und manchmal muss man dafür auch wieder die globale Produkt- und Vertriebslogik in ihre Einzelteile zerlegen. Ein Thonet-Stuhl, der in Shanghai kaputt wird, den schicke man kaum zurück ins deutsche Frankenberg, wo er herkommt, meint Diez, „die Reparatur muss konsequenterweise in Shanghai stattfinden“. Jedenfalls brauche der Möbelnutzer auch einen Mehrwert, den er mitkauft. „Das Merkmal Nachhaltigkeit allein ist für den Konsumenten noch lange kein Vorteil.“ Dafür kann es einer sein, wenn man eben die Bezüge der Sofapolsterung austauschen kann. Allein das verlängert die potenzielle Nutzungsdauer. Und sortenrein trennen kann man die Sofaelemente dann später obendrein. Somit wäre schon eine Anforderung von insgesamt zehn erfüllt, die Diez auf den Tisch legt, bevor er sich auf Projekte mit Design-Herstellern einlässt. Circular Design Guidelines hat er sie genannt. Auf der Liste finden sich etwa solche: „Ein gutes Produkt bleibt lange nützlich.“ Damit das funktioniert, müssen ihnen die Designbüros von Anfang an eine Möglichkeit miteinbauen: jene der Veränderung. Am besten noch dazu gestalterisch ausformuliert in Materialien, „die einem Materialkreislauf entstammen oder wieder nachwachsen“. So lautet eine weitere Guideline.
Comeback der Klassiker
Manche Hersteller versuchen tatsächlich ernsthaft, möglichst viel von dieser Liste abzuhaken. Auch wenn vieles manchmal noch zum Experiment gerät, nach dem Motto: Versuche Gutes, rede darüber. Und poliere dein Image.
Da aktualisieren Branchengrößen wie B&B Italia manche Klassiker, die seit 50 Jahren in ihrer Kollektion stehen, wie etwa den Sofaklassiker Le Bambole, entworfen von Mario Bellini. Im letzten Jahr bekam er überraschend eine zweite Chance, sich zu beweisen. Ästhetisch musste er es schon lange nicht mehr, mit dem Attribut „zeitlos“ hatte das Sofa schon gewonnen. Aber in der Logik von Circular Design musste der Entwurf noch nachlegen. Jetzt wurde die Sofa-Konstruktion völlig neu gedacht. Um sie zerlegbar zu machen und in ihr auch einen Haufen recycelter PET-Flaschen zu verarbeiten. Auch Stefan Diez selbst hat mit dem Hersteller Magis daran getüftelt, die Grundstruktur eines Sofas neu zu denken. Das Resultat heißt Costume und verspricht schon im Namen, dass man es immer wieder neu bekleiden kann: ein modulares Sofa, das konstruktiv auf einer Struktur aus recyceltem Polypropylen basiert.
Dasselbe Material, das etwa auch den Stuhl Tip Ton, den das englische Studio Barber Osgerby für Vitra entwarf, formt. Er besteht aus 3,6 Kilogramm Kunststoff, gewonnen aus Joghurtbechern und Shampoo-Flaschen. Seit 2011 ist er auf dem Markt, den entscheidenden Appendix bekam er erst jetzt: Das „Re“ hinter dem Namen. Als Hinweis auf die nachhaltige – oder besser: zirkulär – orientierte Neuauflage. Ein Projekt, das die Ingenieure ziemlich forderte. Denn recycelter Kunststoff ist nicht mehr so belastbar. Deshalb fügte Vitra Fiberglas hinzu. Und auch die ästhetischen Möglichkeiten sind längst nicht so endlos wie die Lebensdauer des Polypropylen, vor allem in der Farbgestaltung. Zumindest wenn man auf zusätzliche Pigmente und Bleichmittel verzichten will. Beim Stuhl Aveny-T von Montana etwa bestimmt das Vorleben des Materials das Farbschema: Was aus der Nordsee gefischt wurde, macht ihn gelb und blau. Die ehemaligen Remoulade-Behälter lassen ihn dunkelblau werden. Trotzdem ist er selbstbewusst von Designer Anders Engholm gemeinsam mit A Circular Design Studio entworfen ins Rennen gegangen: um die dänische TV-Show „Denmarks Next Classic“ zu gewinnen. Er hatte Erfolg und bestuhlt nun das historische Aveny-T-Theater im dänischen Frederiksberg.
Gerade bei Kunststoff haben die Möbelhersteller am meisten Erklärungsbedarf. Bei vielen allerdings lässt sich die Materialrevolution der 1960er-Jahre nicht ganz so einfach aus der Unternehmens-DNA löschen. Auch bei Kartell, das in der Designgeschichte so einige Ikonen produziert hat, ist Kunststoff die Geschäftsgrundlage. Doch auch dort hat man kapiert: Es ist Zeit für Zeichen und Aktionen. Wie jene etwa, bei der Kartell mit Illy kooperierte.
Da wurden etwa Kaffeekapseln zur Materialgrundlage eines Stuhls, dem Re-Chair, den Antonio Citterio entwarf. Einige andere Stücke aus der Kollektion hat der Hersteller inzwischen auch durch zirkuläre Ansätze für die Gegenwart legitimiert, etwa K-LIM, einen Teppich für den Innen- und Außenbereich, der zu 100 Prozent aus recycelten PET-Fasern besteht.
Für andere Unternehmen steckt in der DNA weniger der Kunststoff als die Kreislaufwirtschaft selbst. Das gilt vor allem auch für das dänische Label Mater. Schon die Namen der Möbel lassen dessen ambitionierte Absichten vermuten: Eternity Chair heißt eines, gefertigt aus über vier Kilo Abfall. Oder der Conscious Chair, ursprünglich ein Entwurf aus den 1950er-Jahren, aktualisiert in einem kreislauffähigen Farbschema: Wood Waste Grey, Coffee Waste Light und Coffee Waste Black heißen dann die Varianten. Mater bietet auch an, die Möbel am Ende ihrer Nutzungsdauer wieder zurückzunehmen, damit das Material danach gleich noch eine Chance bekommt, sich als neues Produkt nützlich zu machen. Diese Strategie kultiviert auch noch ein anderes Unternehmen aus den Niederlanden: Circuform, die Idee des Kreises steckt schon im Namen. „Es geht auch darum, dass sich die Unternehmen für ihre Produkte verantwortlich fühlen, wenn sie schon verkauft sind“, erklärt die niederländische Designerin Ineke Hans. Sie hat für Circuform den Rex-Stuhl entworfen. Und hilft mit ihrer Expertise dem Unternehmen dabei, Produkt-Kreisläufe zu schließen oder auch sanft von eingesessenen Stuhl-Gewohnheiten abzuweichen: Der Hersteller nimmt die Stühle nach ihrer Nutzungsdauer wieder zurück. Durch ein Pfand-System. Er bleibt Eigentümer, kümmert sich dann um die Entsorgung und darum, dass sich das Material wieder in einen neuen Kreislauf einklinken kann. Ineke Hans weiß, dass bei Veränderungen die erste Baustelle die Gewohnheiten sind. „Man muss auch als Designerin eine Art anthropologische Sicht einnehmen, um zu verst