Star-Designerin Patricia Urquiola spricht mit Design DE LUXE über ihr Verständnis von Nachhaltigkeit, die großen Transformationen im Designbereich und ihr neues Hotelprojekt in Grado.
Welche großen Transformationen erwarten Sie für die Zukunft des Designs, wenn es um Nachhaltigkeit geht? Ich glaube, dass wir als Designer die Grundsätze der Natur immer stärker verwenden werden. Ich glaube, dass wir – wie es Timothy Morton (US-amerikanischer Publizist und Philosoph, Anm.) vorschlägt – ein völlig neues ökologisches Denken aufbauen müssen. Um erfolgreich zu sein, müssen wir über dieses apokalyptische Denken im Umweltbereich hinauswachsen, das ist zu simplistisch. Vielmehr müssen wir Umweltdenken als den Schatten einer Idee begreifen, die noch nicht gedacht ist. Die von anderen Ideen getragen wird, bis sie sich nicht mehr aufhalten lässt. Design muss sich öffnen – gegenüber anderen Diskursen und Disziplinen. Wir müssen die Wahrnehmung von Upcycling „designen“, müssen die Schönheit der Erneuerung, der Wiederverwertung verstärken.
Circular Economy, alternative Materialien und Recycling sind Themen, die im Designbereich sehr präsent sind. Wie gehen Sie persönlich in Ihrer Arbeit damit um? Als Studio, sowohl in der Architektur als auch im Design, streben wir danach, nicht nur nachhaltige Materialien, sondern auch nachhaltige Prozesse zu verwenden. Oft arbeiten wir mit Cimento zusammen, einer italienischen Marke, die ein gleichnamiges Material herstellt: eine revolutionäre Zementmischung, bestehend aus über 90 Prozent mineralischen Zuschlagstoffen, die aus Produktionsabfällen großer Steinbrüche stammen. Gemeinsam mit Kvadrat, einer dänischen Textil-Brand, haben wir verschiedene Textilien kreiert, die aus 100 Prozent recyceltem Polyester bestehen. Und schließlich haben wir uns – als Art Director von Cassina – wirklich darauf konzentriert, die Materialien der Produkte einer genauen Prüfung zu unterziehen. Das erreichen wir durch die Arbeit von Cassina LAB, unserem Research und Development Center, in Kollaboration mit dem POLI.design Consortium der Polytechnischen Universität Mailand. Im Zuge dessen wurden kreislauffähige Materialien für die Produktentwicklung gefunden, wie beispielsweise recyceltes PET für Sofapolsterungen. Besonderes Augenmerk wurde außerdem auf die Zerlegbarkeit der Stücke gelegt, um die Wiedergewinnung und -verwertung der Materialien am Ende des Lebenszyklus zu erleichtern.
Gibt es so etwas wie eine psychologische Grenze der Nachhaltigkeit? Wollen Kunden im Premiumbereich auf „alten Schuhen“ oder „Autoreifen“ sitzen, um es überspitzt auszudrücken? Ich sehe keine Grenzen in der Nachhaltigkeit. Ich denke, Menschen werden sich mehr und mehr in diese neue Idee verlieben, dass Schönheit aus Abfall entstehen kann.
Abseits der Nachhaltigkeit – was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Herausforderungen und Entwicklungen im Designbereich? Die wichtigste Herausforderung heutzutage ist, eher Verhalten zu designen als einen Raum. Nach der Zeit der Lockdowns gibt es ein neues Verständnis für die Wichtigkeit von Flexibilität in der Architektur. Möbelstücke müssen anpassungsfähig sein, beweglich und multifunktional. Anpassungsfähigkeit statt Stillstand, Veränderung statt Einschränkung.
Technologische Entwicklungen und digitale Innovationen haben einen starken Einfluss auf Design. Aber natürlich kann Technologie alleine nicht funktionieren – wir müssen sie als Instrument sehen, um unsere Lebensqualität zu steigern. Ich bin außerdem überzeugt, dass Technologie und Handwerk einander ergänzen können – Handwerker zeigen uns, dass auch vermeintlich archaische Werte Modernität transportieren können.
Sprechen wir über Ihr neues Hotelprojekt Laguna Faro. Welche Rolle spielt Design für den Erfolg eines Hotels? Eine Schlüsselrolle. Design ist ein wichtiges Instrument für die Hotellerie, wenn es darum geht, ein Hotel unique zu machen – Gästen einen Grund zu geben, es auszuwählen und dort ihren Urlaub zu verbringen. Hotels sind komplexe Projekte, oft sehr herausfordernd, weil wir die sich verändernden Bedürfnisse der Gäste interpretieren müssen. Die Menschen suchen heute nach Hotels, die an Wohnsitze erinnern, sie wollen eine häusliche Atmosphäre. Als Architekten müssen wir Berührung und Haptik – touch – in das Design miteinbeziehen, aber auch so etwas wie visual touch: eine sichtbare, wahrnehmbare Qualität, die sich von Materialien über Oberflächen bis hin zu den Services zieht.
Wie also – um diesen Aspekt aufzunehmen – setzt man das als Designer um? Wie macht man ein Hotel zu einem attraktiven Aufenthaltsort? Als Architektin vertrete ich überzeugt den Ansatz, dass ein Projekt den Genius Loci aufnehmen und kommunizieren muss – so, wie wir das in Laguna Faro geschafft haben. Wir haben das Interieur mit einem starken Bewusstsein für den Ort selbst und die natürlichen Materialien der Region Friaul-Julisch Venezien erarbeitet.
Sie haben das Interieur von Laguna Faro bis ins kleinste Detail gestaltet – welche Vorteile hat es für einen Designer, wenn man die komplette Kontrolle über das gesamte Projekt hat? Was war Ihre Vision für das Projekt, und wie haben Sie sie Realität werden lassen? Für Laguna Faro haben wir uns von der Lagune inspirieren lassen, mit der Absicht, all die kleinen Details der natürlichen Umgebung, die ihre Schönheit ausmachen, aufzunehmen. Die natürlichen Farben der Lagune von Grado finden sich im Interieur wieder: Ein weiches Mintgrün für Vorhänge und Einrichtung erinnert an die umgebende Vegetation. Das nautische Thema findet seinen Ausdruck in den Holzböden, deren lange Planken an jene von Booten erinnern, sowie in den ungewöhnlichen Molo-Nachttischen – zwei Holzpfosten, die an die Masten eines Bootes erinnern, halten die Tischplatten.
Ein Hotel fungiert ja auch immer als „Zuhause in der Ferne“ – behaglich und heimelig, aber gleichzeitig auch neu und außergewöhnlich. Wie vereint man beides im Design? Ich sehe Hotels gerne als unsere Idealvorstellung des Zuhauses, wo wir das erleben können, was wir auch in unserem Heim gerne hätten. In Zukunft wird diese Wahrnehmung eines Hotels noch viel stärker schon im virtuellen Narrativ wurzeln, das der realen Hotelerfahrung ja vorausgeht. Ich glaube, wir wählen Hotels, die unserer vorab gewonnenen Vorstellung gerecht werden und außerdem die beste Mischung aus Flexibilität, Markenwahrnehmung und vor allem der Beziehung zum jeweiligen Ort bieten.