Wie werden unsere Städte in 10, 15, 20 Jahren aussehen? Wo wollen wir hin und wie erreichen wir unser Ziel? Und: Wissen wir das überhaupt? Design DE LUXE hat Zukunftsforscher Matthias Horx und Projektentwickler Erwin Soravia eingeladen, sich über ihre Erwartungen auszutauschen.
„In spätestens 15 Jahren wird der Gürtel eine begehrte Wohnlage sein“, erklärt Projektentwickler Erwin Soravia, „weil dann fahren wir alle nur noch mit E-Autos durch die Gegend.“ Es ist dies die erste von zahlreichen Zukunftsvisionen und gesellschaftlichen Analysen, die er und Zukunftsforscher Matthias Horx in diesem Gespräch austauschen. Beide haben als ihr Geschäftsmodell die Zukunft erwählt. Während sich Horx selbst eher in der Beobachterrolle sieht, der als Resonanzgeber für gesellschaftliche Entwicklungen fungiert, sie einsortiert, weiterdenkt und in Sprache fasst, kann man Soravias Geschäft als mehr Hands-On betrachten – denn was er als Projektentwickler erwartet, das wird später als Projekt Realität werden. Mehr noch: Lebensrealität. „Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, ist der Haupttreiber für unser Wohlbefinden, unsere psychische Gesundheit“, ist er überzeugt und sich seiner Verantwortung in seiner Rolle durchaus bewusst. Wie aber bringt man diese Verantwortung unter einen Hut mit dem Risiko, die Zukunft antizipieren zu müssen? „Was ist die wichtigste Eigenschaft eines guten Projektentwicklers?“, stellt Soravia die Gegenfrage und antwortet gleich: „Der Selbstbetrug.“ Bei großen Entwicklungen brauche man eine klare Vision dessen, was die Zukunft bringe, ist Soravia überzeugt, und den Glauben an ihre Umsetzbarkeit. Aber: „Wüssten wir immer, wie mühsam und schwierig etwas wird, würden wir nie etwas anfangen.“ Ein bisschen Selbstbetrug als Motivation sei da gar nicht schlecht.
Kommunikation und Eigenverantwortung
„Ich glaube, wir stehen vor einer völlig neuen Form von Entwicklungsprojekten, die kommunikativ ganz anders verankert sein müssen“, erklärt Horx, „bisher gab es ja immer noch viel Konkurrenz zwischen Lobbys. Ein Gebäude ist ja immer ein Gehäuse für die Stadtgesellschaft, aber auch für politische Interessen.“ Die Integration all dieser Interessen sei die große Aufgabe für die Zukunft. Ein Miteinander von Gesetzgeber, öffentlicher Hand, Projektentwickler und natürlich Nutzer ist auch für Soravia das Um und Auf. Integraler Bestandteil muss auch ein Bekenntnis zur Selbstverantwortung der einzelnen Gruppen sein. „Ich zitiere da gerne den Donaukanal“, hebt Soravia an. „Heute müsste der ein 1,20 Meter hohes Geländer haben – so schreibt es die Bauordnung vor. Seltsamerweise fällt da aber kaum jemand hinein, obwohl dort Fahrradfahrer, Fußgänger, Skateboardfahrer und so weiter unterwegs sind.“ Man könne den Leuten schon zutrauen, ein bisschen Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, plädiert er. Das beinhalte natürlich auch für Projektentwickler, dass man sich als Branche am Riemen reißen müsse. Er nennt als Beispiel den Paragrafen 69 der Wiener Bauordnung. „Dieser Paragraf hat Projektentwicklern eine gewisse Freiheit für geringfügige Änderungen zugestanden.“, erklärt Soravia. „Falls ein Gebäude beispielsweise statt 26 Metern 29 Meter hoch war, war das damit abgedeckt.“ Was eine solche unwesentliche Abweichung darstellte, wurde mitunter sehr flexibel ausgelegt – so ist der Millennium Tower nun statt der erwarteten 140 stattliche 202 Meter hoch. „Ich muss gestehen, mit dem Paragrafen wurde dann Schindluder getrieben, und deshalb wurde er auch verschärft“, so Soravia.
Zukunft wachsen lassen
Trotzdem: Wenn man auf die Zukunft vorbereitet sein will, braucht es Flexibilität. „Die Zukunft ist ein komplexes System, und Komplexität kann man nicht gestalten“, so Horx, „man muss sie wachsen lassen.“ Dann werden auch scheinbar paradoxe Phänomene plötzlich lösbar, erklärt Horx und erinnert an die Diskussion um Singlewohnungen und Einpersonenhaushalte, die als Gegensatz zum Gemeinschaftsaspekt gesehen wurden: „Jetzt haben wir die Wohnquartiere, wo sich Individualisten als Kollektiv organisieren.“
Die Weltgeschichte verlaufe nun mal immer in den Wellen Trend – Gegentrend – Synthese. Um einem solchen Prozess gerecht zu werden, müssen Projektentwickler mitunter kurzfristige Einbußen hinnehmen, um langfristig Erfolg zu sichern: „Man darf nicht immer gleich definieren, wie ein Raum genutzt werden soll“, so Soravia, „das tut uns natürlich weh, weil es kostet, wenn ein Raum nicht definiert ist – vor allem in den Sockelzonen. Aber Definitionen funktionieren nun einmal nicht immer – die Nutzung kann nicht das Diktat von oben sein.“ Sehr stark habe er das beim Projekt Triiiple gemerkt, wo in der Sockelzone intensive gewerbliche Nutzung vorgesehen war. „Das hat sich aber total gedreht. Früher wollten die Nutzer den Billa vor der Haustüre, heute ist es die charmante Grätzelatmosphäre, die Kleingastronomie, der Fruchtsaftshop.“ Überhaupt werden die klassischen Supermärkte aussterben, erwartet Soravia und nennt das Berliner Start-Up Gorilla, das gerade ein extrem engmaschiges Liefernetz aufbaut, als zukunftsweisend: „Man bestellt über das Smartphone und hat die Garantie, dass alles innerhalb von zehn Minuten geliefert wird. Und es funktioniert. Wenn das möglich ist, warum soll ich dann noch in den Supermarkt?“ Sicher, in den Spezialitätenshop, zum Lieblingsgreißler, auf den Bauernmarkt geht man noch gustieren. Aber den Alltagseinkauf erledigt das Handy.
Insgesamt ortet man eine Verdörflichung der Städte: „Rurbanisierung“, „Kopenhagenisierung“ – also das Aufkommen der Fahrradstadt –, das sind die Schlagwörter, die Horx nun in die Runde wirft. Auch vor dem Hintergrund, dass aus seiner Sicht die großen Touristenströme endgültig vorbei seien: „Es entsteht global eine neue Tourismuskultur. In Venedig lässt sich das schön beobachten, wo ja gerade die großen Kreuzfahrtschiffe aus der Stadt verbannt wurden. Die Städte werden sich stärker nach innen wenden müssen – jetzt kommt der große Wettbewerb der ‚New Cities‘, die den Menschen massiv in den Mittelpunkt stellen. Das ist die nächste Stufe der urbanen Entwicklung – andere Work-Life-Balance-Konzepte müssen sich architektonisch niederschlagen. Im Sinne der Quartiersentwicklung müssen alle Nutzungen angeboten werden.“ Da hinke Wien leider hinterher, wirft Soravia ein, vor allem, was Tourismus und wirtschaftlichen Zuzug angehe. Nostalgisches Gestreite um das Weltkulturerbe gut und schön, und Wien könne auch stolz darauf sein, aber es solle sich auch überlegen, wo es hinwill, denn: „Nur auf die Vergangenheit stolz sein, ist noch keine Zukunft.“
Wo wollen wir hin?
„Wir sind ja leider im Tourismus sehr stark“, meint Soravia. Leider? „Und damit meine ich Wochenendtourismus und Kongresstourismus. Wir haben keinen Geschäftstourismus – deshalb sind derzeit auch alle Hotels zu.“ Auch was die Wirtschaftsansiedlung in Österreich angeht, ist Soravia unzufrieden – sie sei „eigentlich ein Witz.“ Was ihm abgeht, ist die gemeinsame Vision, ein umfassendes Konzept, das die Schaffung von Arbeitsplätzen und Büroneubezug in Österreich fördere: „Das beginnt schon in der Schule und geht dann bis zu Raummieten und Internetleitungen. Man erwartet von uns Projektentwicklern, dass wir Trends erkennen und umsetzen – und das wollen wir ja auch.“ Beispielsweise baue er keine Büros ohne Terrassen mehr, „weil das Wohlgefühl einfach ein ganz anderes ist.“ Dies sei eine Maßnahme, die relativ leicht umzusetzen sei – bei anderen tue man sich aufgrund der rechtlichen und wirtschaftlichen Parameter deutlich schwerer: „Mein Lieblingsthema ist da die Raumhöhe. Gründerzeithäuser sind ja deshalb so flexibel nutzbar, weil die Räume hoch genug sind. Wenn ich mit 2,50 Meter Raumhöhe baue, kann ich das Gebäude nur als Wohnraum nutzen – selbst, wenn es einmal umgewidmet wird.“ Diese Thematik werde zugunsten der Diskussion um die Gesamthöhe oft vernachlässigt. „Erstens sollte man immer die Gesamtoptik im Blick haben – der Raiffeisen Bank International in Wien beispielsweise fehlen 20 Meter für die richtige Proportion. Zweitens geht es ja auch um die Nutzungsannehmlichkeiten: Ob ich ein Haus ein paar Mater höher baue, ist optisch egal. Aber wenn innen jedes Stockwerk 20 bis 30 Zentimeter höher ist, ist das ein unmittelbarer Gewinn im Wohlfühlfaktor, und gleichzeitig sichert man langfristig Flexibilität in der Nutzung.“ Da schränke die Bauordnung ein, denn wenn die Höhe beschränkt sei, würden auch die Räume nicht erhöht, „weil wir als Entwickler Flächen verlieren und dann wird es wieder teuer.“
Eine Stadt wie ein Mischwald
Die Zukunft der Städte basiert darauf, dass sie überhaupt wieder als Lebensraum im wahrsten Sinne des Wortes etabliert werden.“, erklärt Horx. Dabei gehe es um große, vernetzte Themen wie Quartiers- und Stadtteilentwicklung mit entsprechend gemischten Nutzungen, Grünflächen und Urban Farming, organische Architektur und natürlich das große Thema Mobilitätsplanung: „Den Widerspruch zwischen Mobilität und Verankerung zu lösen, das ist die große Weltaufgabe der Zukunft.“ Immer noch operiere man viel zu stark mit Entweder-oder-Szenarien – entweder Auto oder Öffis, entweder E-Mobility oder Benziner. „Jetzt geht es in die Richtung, das Auto neu zu denken und zu integrieren. So, wie es im Moment die Städte überfüllt und zustellt, verhindert es gesunde Raumordnungen. Aber eine ‚Re-Vermenschlichung‘ der Städte braucht Auto – nur in einer kooperativen Form.“ Worum es eigentlich gehe, sind Mobilitätsräume, wie beispielsweise die Begegnungszonen, in denen sich alle miteinander bewegen. „Die Stadt als Lebensraum muss funktionieren wie ein Mischwald“, bringt es Soravia auf den Punkt: „Die Leute wollen nicht mehr 15 U-Bahnstationen in ihre Bürostadt fahren und am Wochenende eine Stunde aufs Land, damit sie Grün sehen.“ Mischwald kann aber nur Teamwork sein, da sind sich die beiden einig. „Unsere Aufgabe als Projektentwickler ist es, produktive Vorschläge zu bringen“, so Soravia. Damit diese auch umsetzbar werden, bedürfe es aber wieder der Rahmenbedingungen: „Eine Allee wie die Ringstraße wäre heute nicht mehr möglich – weil der Schwenkradius für die Feuerwehrleitern nicht gegeben ist. Die Bäume sind zu hoch.“
Alles eine Schuld der Politik? Der Entscheidungsträger? Falsche Frage, reagiert Horx allergisch: „Das ist schon wieder nicht lösungsorientiert. Sind die Politiker unfähig? Ja, sind sie bisweilen, aber was bringt uns diese Erkenntnis?“ Außerdem arbeite man ja nicht nur mit der Politik, sondern auch mit den Stadtverwaltungen, und die seien ja oft sehr innovativ, meint Soravia und nennt als Beispiel das Vorhaben der Grazer U-Bahn. Innovation sei allerdings nichts für Geizige, wirft Horx ein und warnt vor „Sparbrötchenprojekten“, denn: „Die gehen immer schief.“
Wenn uns die beiden, deren Beruf die Zukunft ist, eines aus diesem Gespräch mitgeben wollen, dann ist es Optimismus: „Wir kennen das ja: Am Anfang sind alle dagegen, aber wenn eine konstruktive Diskussion entsteht sind plötzlich alle dafür“, fasst Horx zusammen. Und dann funktioniert das auch mit der Zukunft.