Kia-Stardesigner Karim Habib im Design de Luxe Interview über die Mentalitätsunterschiede zwischen Europa und Asien, neuen Möglichkeiten durch die Elektroautos und den Zeitpunkt, zu dem Autos auch einfach Glaskuben sein können.
Karim Habib, 53, absolvierte das angesehene Art Center College of Design in Californien, war knapp zwanzig Jahre maßgeblich für die Designlinie von BMW verantwortlich und kam nach einem kurzen Engagement bei Nissans Premiumtochter Infinity zu Kia. Er ist darin federführend, die Elektrifizierung in einen eigenständigen und charaktervollen Look zu kleiden und Konzepte für die Mobilität von morgen zu entwickeln. Den mehrfach preisgekrönten Kia EV6 hat er maßgeblich mitgestaltet, ebenso das neue Elektro-Flaggschiff EV9, auch die beiden Volumsmodelle Niro und Sportage tragen seine Handschrift.
Design ist heute ein viel strapazierter Begriff – aber was genau ist eigentlich seine Aufgabe?
Es geht darum, das Leben der Menschen zu verbessern – jedes Produkt, dass wir machen, müsste das tun – ästehtisch, in der Ergonomie, in der Nutzbarkeit.
Lässt sich der Begriff Design überhaupt fix definieren?
Für mich ist es ständige Entwicklung über Jahre, die Erfahrungen, was ich lerne und umsetze. Das ist der eigentliche Inhalt meines Jobs.
Gibt es jemals den Punkt, an dem der Designer zufrieden ist?
Es gibt Momente, wo man eine gewisse Zufriedenheit spürt, wenn man etwas geschafft hat. Es geht aber auch in die Gegenrichtung. Man sieht sich es sich an und denkt sich: Das hätte ich doch anders machen sollen. Das gehört aber dazu.
Was macht einen guten Designer abgesehen von seiner fachlichen Fähigkeit aus?
Designer müssen positive Menschen sein, Optimisten. Sie müssen das Gefühl haben, dass sie doch etwas verbessern können.
Haben Sie den Erfolg bei Kia erwartet, die vielen Preise und die Aufmerksamkeit, die der Marke nun auf Designlevel zuteil wird?
Ich habe diesen Aufstieg gesehen, Kia hat sich ständig entwickelt, zu einer Design-Marke – auch von Peter Schreyer betrieben in den letzten zehn, fünfzehn Jahren. Die Zusammenarbeit zwischen der Marke selbst und Design ist deutlich stärker geworden, das hat diese Beschleunigung hervorgebracht.
Früher war der Look eher funktional, heute stechen aber auch Volumsmodelle wie Niro und Sportage aus der Menge heraus – muss der Designer für so eine Wende kämpfen?
Bei Kia herrscht eine Kultur, die für das Thema Veränderung offen ist, sie sogar nachfragt. Ich selbst so etwas noch nie anderswo gespürt. Das hat auch viel mit Korea selbst zu tun, die Gesellschaft hat sich seit den 60er Jahren so schnell weiter und nach oben entwickelt, dass sich zu verbessern in der Psychologie der Menschen maßgeblich verankert ist – und auch die Erwartung an das Design stellt, weiter nach vorne zu gehen.
Korea hatte nach dem Ende des Krieges eine Stunde Null, es gab praktisch nichts mehr, alles musste neu erschaffen werden. Ist Europa zu sehr in seiner Tradition verhaftet, hat zu viel Angst etwas zu zerstören, wenn man sich davon löst –ist die Freiheit davon etwas, was uns Korea voraus hat?
Ich bin nach sechs Jahren in Asien jetzt wieder nach Deutschland zurückgekehrt,und das sind Fragen, die ich mir selbst jeden Tag stelle. Was macht diesen Unterschied aus? Die Lebensqualität in Europa ist wirklich unschlagbar, wenn man sie weltweit vergleicht – Bildung, Sicherheit, Infrastruktur, einfach alles fantastisch. Es ist normal, dass man sich fragt: Wenn die Sachen sich ändern – was wird besser und was könnte auch schlechter werden? Ich verstehe, dass dieser Mentalitätslevel einfach da ist. Das ist möglicherweise der Grund, dass man erst einmal fragt: Braucht man diese Veränderung?
Was kann Europa tun, um hier mitzuhalten?
Wenn man sieht, wie rasch sich alles in Asien entwickelt, Korea ist extrem schnell, China ist derzeit noch schneller, lautet die Frage ist einfach: Wie geht man damit um, dass man behält, wofür Generationen in Europa gekämpft haben, aber sich trotzdem an die neue Zeit anpasst?
Werden Autos in der Zukunft äußerlich unterscheidbar bleiben, etwa welches welches Elektro-, thermischen Antrieb oder vielleicht bald einen Wasserstoff-Motor hat?
Mir ist wichtig, dass wir authetisches Design machen, das kann für eine Automarke aber ganz unterschiedliche Bedeutung haben und Technologie ist natürlich eine davon. Die Proportionen, die Elektrofahrzeuge uns anbieten, unabhängig von der Formensprache, die treiben uns in eine neue Richtung.
Was verändert sich dadurch in den praktischen Gestaltungsmöglichkeiten?
Ein Volumshersteller wie Kia, wo man die letzten zwanzig Jahre mit Frontmotor, langen Überhängen und kleinen Rädern gearbeitet hat – das müssen wir jetzt nicht mehr machen. Die neue Technologie erlaubt uns lange Radstände, kurze Überhänge, große Räder – Elemente, die in der Vergangenheit typische Merkmale von Premium-Marken waren. Wir übernehmen also ganz neue Basics.
Wird es in die Richtung gehen, dass das Auto eines Tages ein „Rolling Living Space“ ist, der sich auchan heute gültige formale Voraussetzungen nicht mehr halten muss?
Ich denke schon. Es gibt noch ein paar maßgebliche Gründe für das heutigen Aussehen, etwa warum wir nach wie vor ein Volumen vor der Kabine haben, das ist das Crashverhalten. Der Moment, wo diese Umstellung stattfinden kann ist, wenn jedes Fahrzeug autonom fährt. Dann kann es theoretisch auch ein Glaskubus sein. Das würde aber bedingen, dass die Autos tatsächlich auch nicht mehr anders gelenkt werden können – weil ab dem Zeitpunkt, an dem ein Mensch eingreift, wieder Fehler gemacht werden.Ich bin sehr gespannt, wann dieser Moment passiert. Die Technologie wird kommen, nicht so schnell wie wir dachten, aber sie kommt. Ab wann legt eine Regierung dann schließlich den Schalter um, wo keinMensch mehr fahren darf?
Oder kein Mensch mehr fahren muss …
Das wird wahrscheinlich schneller passieren, als „fahren möchte“. Es wird diese Übergangszeit geben, wo selbstfahrende Autos und nicht autonome Fahrzeuge gemeinsam unterwegs sind –es fragt sich nur, wie lange das sein wird.
Aus welchem Grund werden sich Menschen dann Autos kaufen? Heute ist das Auto ja auch eine Art Verlängerung für die Persönlichkeit. Wenn ich aber nicht mehr selbst fahre, fällt dieser Kaufanlass dann weg?
Was passiert, wenn das Auto eines Tages einmal kein Statussymbol mehr ist? Das ist zugleich der Bereich, wo ich das Gefühl habe, als Designer am meisten zu lernen. Viele junge Designer machen heute gar nichts mehr in Richtung Statussymbol, die kreieren mobile Lebensräume, mehr Inustrie-als Lifestyl-Design. Ich finde das sehr spannend.