Die Gärten des Niederländers Piet Oudolf zeichnen sich durch eine sorgfältig gestaltete Wildnis und die Verwendung von blühenden Pflanzen, Gräsern und Stauden aus.
Ein Stil, der ihm in seiner 40-jährigen Karriere zu weltweiter Bekanntheit und Anerkennung verholfen hat. Im Exklusivinterview mit Design DE LUXE spricht er über seinen Designzugang, seinen Arbeitsprozess und seine Projekte.
Sie werden als Rockstar der Pflanzenwelt beschrieben, als eine „Leitfigur des New Perennial Movement“ – wie sehen Sie sich selbst? Im Gartendesign hatte ich immer Probleme mit den vielen Regeln – ich fand beispielsweise englische Gärten sehr schön, aber nicht spontan genug. Es war alles sehr dekorativ, es ging nur um Blumen, darum, was in welcher Jahreszeit zu tun sei, wann etwas blühte. Ich wollte diesen Regeln entfliehen, meinen eigenen Weg finden. Ich fing also an, anstatt ausschließlich blühender Pflanzen auch Gräser zu verwenden. Daraus ergab sich eine neue Art von Garten, wir (Oudolf und seine Frau Anja, Anm.) wurden spontaner, schnitten Pflanzen, die verblüht waren, nicht zurück, ließen Samenköpfe stehen.
Über unsere Pflanzenschule trafen wir auch Menschen wie Henk Gerritsen, der damals schon eher aus dem „wilden“ Bereich kam, Menschen aus der ganzen Welt mit ähnlichen Ideen kamen zu uns. Allen war bewusst, dass der öffentliche Raum nicht sehr schön gestaltet war, es gab kein Budget – es gab Grünflächen, aber die Qualität dieser Flächen war sehr niedrig. Und so kamen wir in den Achtzigern und Neunzigern bei vielen Konferenzen zusammen, mit Henk Gerritsen begann ich, ein Buch über eine neue Generation der Gartenpflanzen zu schreiben, „Dreamplants“. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Buch aus den Neunzigerjahren immer noch so wichtig ist.
Wenn Sie dieses Buch heute aufschlagen und mit ihrem aktuellen Stil vergleichen – was hat sich verändert? Wie haben Sie sich entwickelt? Ich wurde natürlich mutiger, meine Gärten sind jetzt wilder, ich verwende mehr Gräser – natürlich immer abhängig vom jeweiligen Projekt. Ich veränderte mich auch von „Was sieht gut aus?“ hin zu „Was funktioniert gut?“. Am Beginn macht man natürlich viele Fehler. Als wir begonnen haben, im öffentlichen Raum zu arbeiten, mussten wir unsere Pflanzenpalette verändern. Wir verwendeten stärkere, widerstandsfähigere Pflanzen. Mit zunehmender Bekanntheit imitierten mehr Menschen meine Gärten, auch das ist inspirierend. Und schließlich zielen wir heute auch nicht mehr „nur“ auf Schönheit ab, sondern auch auf Lebensräume.
Das ist ein spannender Aspekt – im Gartendesign ist der Kunde ja meist der Mensch. Bei Ihren Gärten sind es Pflanzen, Tiere und Insekten. Wie bringt man so viele „Zielgruppen“ unter einen Hut? Pflanzen und Blumen ziehen Insekten an. Wenn man die Samenköpfe stehen lässt, ziehen sie Vögel an, die dort nisten. Das passiert automatisch. Am Beginn haben wir die Gärten für ein menschliches Publikum gestaltet, das sich dort wohlfühlen sollte – und irgendwann merkt man dann, dass die Arbeit noch einen zusätzlichen, größeren Wert hat. Natürlich schließt das auch Faktoren ein, die man nicht möchte, Mäuse zum Beispiel, aber das nimmt man in Kauf. Man erschafft eine Welt, das ist ein schönes Gefühl – mit einem Mehrwert für das Auge, aber auch für den Geist, für die Natur und für Geschöpfe, die man üblicherweise nicht in Gartendesign inkludiert.
Ihre Gärten werden vielfältig interpretiert, als Symbole und Metaphern für gesellschaftliche Aspekte. Ist das etwas, das Sie schätzen? Oder sollten die Menschen Ihre Gärten einfach erleben, statt sie zu interpretieren? Es stört mich nicht. Am Ende nutzt es dem Grundgedanken, wenn meine Gärten als eine Art „Lehrinstrument“ funktionieren, wenn Menschen die Ideen aufnehmen und selbst umsetzen. Ich sehe das als Kompliment, im Moment tut sich so viel, weil andere meine Konzepte aufnehmen und damit arbeiten.
Ich glaube, das Wichtigste an dieser sehr komplexen Art des Gartendesigns ist, dass Menschen es sehen. Dass sie darüber nachdenken: was es ist, warum man es nicht in mehr Städten sieht. Die Schönheit, die Ästhetik und der Wechsel der Jahreszeiten macht den Menschen Möglichkeiten bewusst. Als menschliches Wesen braucht man Pflanzen um sich herum, damit man sich wohlfühlt.
Wie erleben Sie die Entwicklungen im internationalen Garten- und Landschaftsdesign?
Das Bewusstsein für das, was wir tun, ist größer denn je. Es gibt viel mehr öffentliche Räume, die bepflanzt werden; das Pflanzen von Bäumen ist natürlich ein ganz großes Thema. Auch die Budgets werden größer, Architekten integrieren mehr Grün in ihre Projekte. Grünflächen in Städten sind natürlich immer Erholungsgebiete, in denen sich Menschen aufhalten können. In einem dynamischen Grünraum würden die Pflanzen eine größere Rolle einnehmen, der Wechsel der Jahreszeiten, man würde mehr Natürlichkeit hineinbringen. In Parks und Gärten geht es mehr um Schönheit. Es gibt auch nicht die Budgets dafür, einen dynamischen und entsprechend pflegeintensiven Grünraum zu betreuen.
Im High Line Park in New York, einem extrem urbanen Gebiet, haben Sie Gleise – ein wichtiges Symbol für Stadt und Industrialisierung – belassen und den Zwischenraum bepflanzt. Ist das bewusst symbolisch? Bei diesem Projekt hatte ich das Pflanzungskonzept inne, die Architektur stammt von James Corner Field Operations und Diller + Scofidio. Sie hatten die Idee, die Gleise als Erinnerung daran zu behalten, was hier einst war. Das Pflanzendesign nimmt diesen Aspekt auf, indem es natürlicher, wilder wirkt – wie es auch wirkte, als die Trasse über so viele Jahre vernachlässigt wurde. Tatsächlich ist es natürlich kein „wildes“ Design, vielmehr eine „verbesserte“ oder „romantisierte“ Wildnis.
Ein interessanter Punkt: Wir assoziieren Gärten mit Natur, aber eigentlich sind sie nicht „natürlich“, sondern sorgfältige Kompositionen … Wir können niemals die Komplexität erreichen, die man in der Natur findet, wo man so viele Spezies auf nur einem Quadratmeter findet. Wir müssen mit Pflanzen arbeiten, die sich „gut benehmen“. Man kann keine invasiven Sorten verwenden, die andere verdrängen würden, wie es in der Natur oft passiert. Wir erschaffen nicht Natur, wir gestalten Gärten. Das ist etwas ganz anderes, wir arbeiten mit einer begrenzten Auswahl von Sorten auf kleinem Raum, manchmal mit sehr eingeschränkter Pflege. Dafür müssen wir die richtige Formel finden – das dauert Jahre.
Um die Entwicklung eines Gartens über die Jahreszeiten zu beobachten? Auch das Verhalten der Pflanzen: Wann blühen sie? Was brauchen sie? Wie lange leben sie? Manche Pflanzen verdrängen andere, Bäume verändern den Lebensraum durch ihren Wuchs – dann muss man einige Pflanzen austauschen. Es braucht ein gutes Team, das den Garten über Jahre betreut, und umfassendes Wissen.
Sie haben auch eine Leidenschaft für die Fotografie. Ich bin kein Techniker, ich mache einfach gerne schöne Bilder. Ich versuche, die Schönheit, die ich im Moment spüre, einzufangen.
Bei Ihren Projekten gibt es keine Renderings – warum nicht? Ich kann es einfach nicht, habe es nie gelernt. Ich bin auch kein Schriftsteller, deshalb schreibe ich meine Bücher immer mit anderen. Wenn es um ein sehr großes Projekt geht oder der Kunde es wünscht, dann erstellen wir schon Renderings. Aber ich habe so viele Projekte, die ich herzeigen kann, so viele Bilder davon. Ein Rendering wird niemals besser sein.
Wie behalten Sie die vielen Details in großen komplexen Projekten im Auge? Mit Farben. Jede Pflanze bekommt eine Farbe, und in der Skizze sehe ich dadurch die Muster, die Wiederholungen.
Wie in einem Puzzle, das man zusammensetzt? Ja, genau. Am Beginn gibt es für jeden Garten eine erste Idee – die sich aus den Wünschen des Kunden, dem Kontext, dem Budget und so weiter zusammensetzt. Dann erstelle ich eine Liste mit Möglichkeiten. Daraus wähle ich Pflanzen, wie ein Maler Farben aus einer Palette wählt. Wenn ich den Namen einer Pflanze sehe, dann sehe ich ihr „Gesicht“, ihren ganzen Charakter. Der Name bekommt eine Farbe, und so sehe ich den Rhythmus eines Gartens. Bis zu einem gewissen Grad passiert das unbewusst, aus vielen Jahren Erfahrung. Manchmal denkt man und denkt doch wieder nicht zur gleichen Zeit.
Sie erschaffen auch unterschiedliche Landschaften innerhalb eines Areals … Wenn der Garten groß genug ist, dann intensiviert es einfach die Erfahrung: Man betritt ein anderes Areal mit einem anderen Konzept, trifft auf neue Pflanzungen; einmal wilder, einmal höher, robuster, manchmal ist es ein Stück Waldgebiet. Das verändert auch die emotionale Wahrnehmung, ich versuche, Gärten aufregender und wenig gleichförmig zu gestalten.
Sie haben auch einen Garten am Vitra Campus gestaltet – wie kam es zu der Zusammenarbeit? Ich bekam eine Mail von Rolf Fehlbaum, dem ehemaligen Geschäftsführer von Vitra, er wollte einen Garten auf dem Campus gestalten. Ich denke, das war eine recht späte Idee, bis dahin waren es ausschließlich Gebäude bekannter Architekten. Fehlbaum hatte einige meiner Gärten gesehen und empfand, dass ein Garten an diesem Ort einen Mehrwert haben würde. Er und sein Bruder führten mich herum, und die Gebäude waren tatsächlich wunderschön. Ich glaube nicht, dass sie eine besondere Vorstellung von Gärten hatten. Sie fragten mich, wo ich den Garten gestalten wollte, und ich entschied mich für den Bereich vor dem Future House. Wenn die Menschen das Gebäude verlassen, sehen sie den Garten, deshalb war dies der wichtigste Platz dafür.