Mann fürs Wesentliche

Sir David Chipperfield gehört zu den herausragendsten Architekten unserer Zeit. Sein Markenzeichen? Eindrucksvolle, aber nicht aufdringliche Bauten, die die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Jetzt baut der Architekt im 13. Bezirk.

Es glich einem Wunder, als die Neue Nationalgalerie in Berlin sich letztes Jahr nach fünfjähriger Renovierung wieder für Besucher öffnete. Zum einen, weil die Baukosten im Gegensatz zu anderen Projekten dieser Größenordnung mit 140 Millionen Euro noch im Rahmen geblieben waren. Zum anderen, weil das Unmögliche möglich gemacht worden war: die marode gewordene Ikone der Klassischen Moderne – entworfen 1968 von Ludwig Mies van der Rohe – so behutsam in die Gegenwart zu bringen, dass sie heutigen technischen Standards genügte und trotzdem so frisch, avantgardistisch und monumental wirkte wie bei ihrer Eröffnung vor einem halben Jahrhundert.

Die Neue Nationalgalerie in Berlin nimmt Chipperfield in mühevoller Kleinarbeit auseinander und setzt sie wieder zusammen.

Die Spuren der Geschichte lesen

Der unsichtbare Architekt hinter dieser große Geste ist kein Unbekannter. Spätestens seit dem Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlins ist Sir David Chipperfield nicht nur aus der deutschen Hauptstadt nicht mehr wegzudenken – auch auf der internationalen Bühne ist er gefragt. Der britische Architekt lernte bei Richard Rogers und Norman Foster, ehe er 1985 sein Büro in London gründete. Mittlerweile führt er auch Niederlassungen in Berlin, Mailand und Shanghai. Die Entwürfe des Architekten sprechen eine klare Sprache: Chipperfield blickt hinter die Fassade, tief in die Seele eines Gebäudes. Und so zerlegte er den Tempel der Moderne in 30.000 Einzelteile, ließ jedes säubern und modernisieren, tauschte manches aus und fügte es schließlich wieder zu dem riesigen, komplett verglasten Flachbau zusammen.

Diese Fähigkeit, Spuren der Geschichte lesbar zu lassen und trotzdem im Hier und Jetzt verankert zu sein, bringt Chipperfield viele Bewunderer ein. In New York entwirft er gerade eine weitere Ikone: das neuen Hauptsitz des Schweizer Uhrenkonzern Rolex in den USA. Der 25-stöckige Glasturm an der Ecke der Shoppingmeile 5th Avenue und 53rd Street wird das bestehende, eher schlichte Gebäude ersetzen, in dem Rolex seit den 1970er Jahren sitzt. „Unser Team hat sich verpflichtet, ein beispielhaftes Gebäude zu schaffen, das dem Erbe und der Kultur der Marke Rolex sowie dem prominenten Standort an der 5th Avenue gerecht wird“, sagt Chipperfield. Die Gegend kennt er gut: Vor acht Jahren hatte er den Flagship-Store von Valentino saniert, der in unmittelbarer Nachbarschaft liegt.

Das mehr als 15.000 Quadratmeter große Rolex-HQ soll wie Marke selbst für „Qualität, Präzision und Exzellenz“ stehen und Büroräume sowie eine neue Boutique von Rolex enthalten. Es besteht aus fünf übereinander gestapelten Kuben, die nach oben hin immer kleiner werden und durch ihre versetzte Anordnung Platz für bepflanzte Terrassen und Dachgärten schaffen. Das Gebäude ist von einer lamellenartigen, zickzackförmigen Verglasung umgeben. Das Glas ist größtenteils nur lichtdurchlässig, um unscharfe Blicke ins Innere zu ermöglichen. Andere Teile sind transparent, um große Fenster im Inneren zu bilden.

Chipperfield in Österreich

Auch hierzulande hat der Architekt von Weltrang schon seine Spuren hinterlassen. In der Kärntner Straße in Wien hat Chipperfield vor elf Jahren das minimalistische Peek & Cloppenburg-Haus entworfen, in Innsbruck das Kaufhaus Tyrol. In Wien-Hietzing entstehen gerade die ersten Wohnhäuser des Briten in Österreich. „Crownd by Chipperfield“ heißt das Projekt, hinter dem die Projektentwickler Julia und Max Kneussl stecken. Es war Chipperfields klare Definition von Luxus, die beiden imponierte. „Er empfindet Luxus als einen wichtigen Bestandteil des Wohnens. Allerdings nicht als etwas, das unbedingt golden, glänzend oder schimmernd sein muss. Es ist für ihn eine Philosophie die pur, echt und kraftvoll ist – mit echter Materialität, die auf Kostümierung und Maskerade verzichtet.“

„Ostentativer Luxus“, sagt Chipperfield „umgibt immer ein Hauch des Vulgären, dabei kann Luxus auch ganz wesentlich sein: die Großzügigkeit des Raums, die Einbettung eines Gebäudes in der Landschaft; die Art, wie Menschen ihr Zuhause erleben.“ So entwarf er für die Hanselmayergasse im 13. Bezirk drei großzügige Stadtvillen, die 20 Apartments zwischen 30 und 300 Quadratmetern beherbergen. Die Wohnungstypen – „Garden Residences“ mit bis zu 330 Quadratmetern, „Chipperfield Apartments“ zwischen 40 und 160 und „Penthouses“ bis 170 Quadratmeter – sind in unterschiedlichen Stilen entworfen, die unterschiedliche Lebensentwürfe respektieren.

Die Gebäudehülle besteht wie viele Gebäude des Briten aus einer sandgestrahlten Sichtbetonfassaden mit großflächigen Glasflächen. Von den Terrassen und Balkonen öffnet sich der Blick auf den Wienerwald und die Stadt, die Häuser sind von alten Buchen, Eschen, Schwarzföhren und Birken umgeben. Chipperfield, der äußerst akribisch selbst an kleinsten Details arbeitet, fand das Projekt anfangs zu klein. Doch Julia und Max Kneussl konnten ihn davon überzeugen, dass es genug Gestaltungsspielraum für stilistische Feinheiten bot. „Chipperfield ist jemand, der eine klare Vision entwickelt und an ihr festhält. Diesen Spirit kann man in seiner Anwesenheit förmlich spüren, was uns manchmal etwas eingeschüchtert hat. Das ist uns vorher noch nie passiert.“

Den für ihn perfekten Koffer – seinen „Suit- Case“ – schuf Chipperfield selbst – in Zusammenarbeit mit dem deutschen Label Tsatsas.

Der Allround-Designer

Die klare Silhouette von Chipperfield äußert sich auch in den Möbeln und Leuchten, die er entwirft – etwa für e15, Wästberg oder Cassina IXC. Mit dem Label Tsatsas aus Frankfurt hat der Architekt vor zwei Jahren den „Suit-Case“ herausgebracht, einen kleinen Koffer aus Kalbsleder, der mit weichem Lammnappaleder und natürlichem Canvas gefüttert ist. Chipperfield ist selbst viel unterwegs, und pendelt ständig zwischen seinen vier Büros. Den größten Teil meines Lebens verbringt er auf Reisen. „Wir haben David Chipperfield vor fünf Jahren kennengelernt“, erzählt Esther Schulze-Tsatsas, die das Label mit ihrem Partner Dimitrios Tsatsas führt. „Die Chemie stimmte sofort.“

Chipperfield erzählte den beiden von seinem langjährigen Wunsch nach einem für ihn perfekten Koffer, den er bisher noch nicht gefunden hatte. Das war die Grundlage für die gemeinsame Zusammenarbeit. „David ist ein sehr angenehmer Partner, der uns sofort auf Augenhöhe begegnete. Er schenkt jedem noch so kleinen Detail große Aufmerksamkeit, sei es bei seinen architektonischen Entwürfen wie auch bei unserer gemeinsamen Kollektion.“ Und so entstand nach dem Koffer eine ganze Kollektion mit Taschen und Etuis, die im Juli erschien. „Seine Designsprache ergänzt sich perfekt mit unserer Detailverliebtheit“, sagt Dimitrios. „Ebenso wie die Reduktion auf das Wesentliche, die seine Bauwerke so einfach und selbstverständlich wirken lässt und dabei die Komplexität des Entwurfs im Verborgenen lässt.“