Es sind Zeiten, die allen viel abverlangen. Auch den Architekten und Interior-Planern, die sich mit dem verstärkten Phänomen auseinandersetzen müssen, möglichst viele Funktionen in einen Raum hineinzupacken. Doch es ist wie immer: Eine Herausforderung ist wie immer eine Chance.
Das mit dem „die Wände einfach rausschieben“ ist so eine Sache. Meistens eine Fehlanzeige, vor allem im städtischen Raum. Vielmehr ist derzeit das „Wände-Rumschieben“ angesagt, wobei das Wort „Wände“ nur eine Metapher dafür ist, was alles möglich ist. Die Umstände der letzten beiden Jahre haben dazu geführt, dass in vielen Wohnungen und Häusern etwas integriert werden musste, was eigentlich gar nicht vorgesehen war. Da nahm man die Trennung zwischen Job und Freizeit recht genau. Doch diese heilige Grenze ist definitiv gefallen, und allerorts musste Platz für ein Homeoffice geschaffen werden, damit der Workflow nicht abreißt. Mit der Zeit hat man an diesem neuen Lebensmodell mit Schreibtisch im Wohnzimmer jedoch Gefallen gefunden. Die Versuchung, sich neu und gleichzeitig raffiniert zu organisieren, war und ist nach wie vor groß. Und die Frage nach dem Wie ist eine absolut lösbare.
Für Dinge offen sein
„Sicher hat die derzeitige Situation die Entwicklungen des Arbeitsplatzes auf Zeitraffer gestellt. So wurde es allerdings allen, einschließlich der Politik bewusst, welch Modelle der Zukunft auf uns zukommen werden, beispielsweise eine (meist jüngere) Generation, der die Work/Life-Balance besonders wichtig ist, mehr noch als Entlohnung. Darauf ausgerichtet hat man sich ohnedies schon ein profundes Wissen an Ergonomie auch für den Heimarbeitsplatz angeeignet“, wagt David Tekeli, Head of Design bei Behan und Thurm, der sich täglich mit diesem brennenden Thema auseinandersetzt. „Ich muss gestehen, dass uns diese Frage am Anfang der Pandemie mehr beschäftigt hat, als dies nun mehr der Fall ist. Der Klient hat sich bereits damit abgefunden, dass es keine hybride Lösung an Drehstuhl – wohlgemerkt mit allen notwendigen Einstellmöglichkeiten – für das Heim gibt. Im Gegenzug setzt man hier eher auf gestalterische Aspekte wie zum Beispiel auf den jeweiligen Stoffbezug und dessen Farbe. Man möchte komfortabel und gesund arbeiten – und das ist auch gut so.“ Problematischer sieht er hingegen die Sache mit den Arbeitstischen, denn sie brauchen einfach mehr Fläche des Wohnraumes. „Sollte es machbar und möglich sein, empfiehlt es sich natürlich auch zu Hause, einen höhenverstellbaren Tisch anzuschaffen. Wem weniger Platz zu Verfügung steht, wird aber derzeit auch mit vielen Innovationen konfrontiert. So hat Zum Beispiel die Firma Tecno Spa in Kooperation mit Olivetti einen vollwertigen Arbeitsplatz entwickelt, der einen ausfahrbaren Monitor sowie Licht für Conference Calls hat und sogar sicher mit firmeneigenem Netzwerk verbunden werden kann. Klein und kann bei Nicht-Gebrauch auf eine kleine Box zusammengeschrumpft werden.“
Weg von Monokultur
Der steirische Interiorprofi Matthias Prödl, der in das erfolgreiche familiengeführte Tischlerunternehmen eingestiegen ist, hat den Kopf voller Ideen, die oft bei ihm zuhause beginnen. „Es ist wichtig, schon bei der Planung zu bedenken, wo es Möglichkeiten in Räumen gibt, um einen Arbeitsplatz geschickt zu integrieren. Tische und Borde können als Ablage, aber auch als Arbeitsfläche genutzt werden – es sollte so konzipiert sein, dass man nicht überrascht werden kann und dann kompliziert herumstellen und nachjustieren muss. Ich habe mir selbst eine Küche gebaut, in der es mehrere Sitzmöglichkeiten gibt, weil ich überzeugt bin, dass der Trend generell in die Richtung geht, dass Küchen in Zukunft immer multifunktionaler werden und nicht nur Raum für Kochen und Zubereitung, sondern auch zum Sitzen bieten können. So wird auch ein Teil der Kücheninsel zum Rückzugsort im Haus als eine von jenen Ecken, von denen man immer mehr brauchen wird: der Keller als Homeoffice, die Nutzung von Schrankräumen, der Esstisch an zentraler Stelle und so weiter. Erst vor Kurzem haben wir sogar in ein Bad ein größeres Bord eingezogen, das eigentlich ein Schminktisch ist, aber auch als Schreibtisch genutzte werden kann“, erzählt der Gründer der Prödl Workshop GmbH. „Aufgrund der aktuellen Immobilienentwicklungen gibt es den Traum für eine explizite Homeoffice-Nutzung nicht, daher muss man schauen, wie man die Funktionen bestmöglich miteinander verschränkt und multifunktional denkt. Oft fehlt der Platz, um ein reines Homeoffice einzurichten. Umso wichtiger ist es zu strukturieren und den Raum optimal nutzt, indem man ihn mit funktionellen Möbeln ausstattet. In den meisten Haushalten sind es zwei Personen, die ein Homeoffice in Anspruch nehmen – da sollte man unbedingt schauen, dass jeder seinen eigenen Platz hat. Ich persönlich glaube auch, dass man, um die Fadesse wegzubekommen, den Platz auch öfter wechseln will.“
Der Trick mit dem Knick
Für richtige Raumwunder bekannt ist auch die Firma Ladenstein, ansässig in Graz und Wien, wo man sich in den eigenen Schauräumen inspirieren lassen kann. Weit über die Grenzen hinaus bekannt geworden ist unter anderem das Klappbett von Ladenstein, das keineswegs eine „Notlösung“ für wenig Platz betrachtet werden soll, sondern viel mehr als Raumgewinn in Form einer eleganten Lösung. „Wir sind schon seit Jahren rund um dieses Thema aktiv und bieten zahlrieche Platz sparende Möbellösungen an. Unser Klappbett gibt es mittlerweile schon über 40 Jahre, und wir nehmen wahr, dass es auch heute noch eine zeitgemäße Einrichtungsvariante ist, denn es ist sehr gefragt und wird immer öfter in den Wohnungen eingeplant“, sagt Marcel Ladenstein, der sich als Spross der Tischlerdynastie um die Marketing-Agenden kümmert. „Die Kombination von Sofa, Bett und Schrank, vereint in einem kompakten Möbelstück, bietet den Menschen einen großen Mehrwert von Platz und Raumgefühl. Neben dem beliebten Klappbett haben wir auch einen Klappesstisch, eine Klappbar und einen Klappschreibtisch in unserem Portfolio, bei dem das Büro durch einen einfachen Handgriff verschwinden werden kann. Das Klappen sehen wir als perfekte Möglichkeit, Möbel vielseitig und funktional zu gestalten. Parallel schauen wir natürlich auch immer sehr auf das Design, mit dem wir das einzelne Möbelstück oder die ganze Raumplanung in ein schönes und hochqualitatives Kleid verpacken. Ein Designmöbel ist eben nur dann ein Designmöbel, wenn Form und Funktion Hand in Hand gehen.“
Brücken schlagen
Auch Christian Mann, Innenarchitekt und Geschäftsführer von Hoflehner Interiors, besteht die Herausforderung in der richtigen Planung, die jedoch durch die immer funktioneller werdenden Möbel sehr gut gelöst werden kann. Der Knackpunkt dabei ist, dass man sich vom einschichtigen Denken verabschiedet und bereit ist, sich für Neues und Multifunktionales zu öffnen. „Beispielsweise kann der Schreibtisch im Schlafzimmer versteckte Stauraummöglichkeiten beinhalten, wo nach getaner Arbeit alles verstaut wird und somit aus dem Blickfeld verschwindet. Im Wohnbereich kann ein Arbeitsbereich auch mit kleinen Raumteilern oder ganzen Glaselementen abgetrennt werden. Durch solche Lösungen behalten die Räume ihre Großzügigkeit und sind zusätzlich multifunktional. Wichtig ist, dass die Bedürfnisse der gesamten Familie im Detail erhoben und abgestimmt werden, dann kann die perfekte Lösung geplant werden“, weiß der gebürtige Waldviertler, für den Kraft immer aus der Ruhe geschöpft wird. „Schon durch die oft Doppelt- oder Dreifach-Nutzung eines Raumes wird beim Thema der Innenausstattung an sich eine immer größere Multifunktionalität vorausgesetzt. Bei vielen Herstellern gibt es bereits großartige Lösungen und Möglichkeiten. So kann beispielsweise die Beleuchtung durch die Möglichkeit der Änderung der Lichtfarbe und Lichtstärke an die jeweilige Situation angepasst werden. Im Interieur ist man insgesamt betrachtet schon sehr gut auf diese Situation vorbereitet. Es gibt beispielsweise Stühle, die sowohl als Esszimmerstühle, aber auch als Stühle fürs Homeoffice eingesetzt werden können und ein tolles Design bieten. Dies ersetzt natürlich nicht den ergonomischen Bürostuhl, lässt aber beides miteinander verbinden.“
Auf Tuchfühlung gehen
Es müssen aber nicht nur deklarierte Möbelstücke sein, die dem Trend in die Hände spielen. So kann man etwa mit Teppichen, Stoffen und jeder Art von Gewebtem perfekt zonieren und optisch abgegrenzte Bereiche schaffen. „Textilien sind natürlich optimal für Raumtrennungen einsetzbar. Zum Beispiel Vorhänge oder stoffbezogene Paravents, die flexibel und temporär Wände auf eine sehr einfache, praktikable Art ersetzen und dabei gleichzeitig Raum schaffen oder verschwinden lassen. Ein großes Plus ist, dass sich der Einsatz von Vorhängen beziehungsweise Textilien allgemein natürlich positiv auf die Raumakustik auswirkt, was nicht zuletzt beim Arbeiten – ich sage nur Stichwort „Telefonieren!“ – ein enormer Vorteil ist“, sagt Textilexpertin und Designerin Teresa Urbano, die mit ihrem Label FiLAFiL vielschichtig inspirieren möchte und ein Teil der Formdepot-Familie ist. „Umgekehrt macht es auch Sinn, wenn das Bett mit schönen Plaids respektive Überwürfen oder Tagesdecken „versteckt“ wird, und es so tagsüber eher Loungecharakter ausstrahlt. Auch schöne Kissen bieten sich hier an. Ein Muss – natürlich nicht nur, wenn man den Schreibtisch im Schlafzimmer stehen hat, sondern ganz allgemein – sind qualitativ hochwertige Bett-Textilien: angefangen bei der Matratze, über Kissen und Decken bis hin zur Bettwäsche – für erholsamen Schlaf um optimal abschalten zu können und immer schön anzusehen.“
Das Ganze sehen
Im Wiener Formdepot, gegründet von den Interiordesignern Heinz Glatzl und Joachim Mayr, schließt sich der ganze Bogen der verschiedenen Bereiche. Sie geben zu bedenken, dass alles eine Wechselwirkung und einen Einfluss aufeinander hat und man Dinge auch mal von der anderen Seite betrachten muss: „Nehmen wir zum Beispiel das Thema „Der Schreibtisch steht im Schlafzimmer“. Hier ist es wichtig, Lösungen zu finden, die beim Schlafen den Arbeitsplatz ausblenden lassen. Umgekehrt ist es beim Arbeiten auch nicht unbedingt förderlich, wenn das (ungemachte) Bett im direkten Blickfeld steht. Eine gute Möglichkeit wäre, baulich Nischen zu schaffen, um den Arbeitsplatz vom Schlafbereich abzuschirmen. Für einen erholsamen Schlaf lohnt es sich unbedingt Verblendungen und Einbauten für technische Geräte zu planen, um störende und oftmals gar blinkende Lichtpunkte etc. zu verstecken und in der Nacht für die nötige Dunkelheit zu sorgen. Wenn möglich, sollte man den Arbeitsplatz möglichst in Fenster-Nähe positionieren.“ Apropos Licht: Für die Kombination Schlafzimmer / Homeoffice bieten sich Lichtkreise für verschiedene Lichtstimmungen an, in kleinen Räumen empfehlen die beiden Experten integrierte Lösungen wie Einbauspots und indirekte Beleuchtung: „Gut sind verschiedene Lichtquellen, die auch wiederum flexibel einsetzbar und bedienbar sowie idealerweise dimmbar sind oder bei denen sogar die Lichttemperatur regelbar ist. Auch die Möglichkeiten, dies mit smarten technischen Lösungen zu kombinieren, sind natürlich vielfältig, zum Beispiel eigene und mit jeweils einem Knopfdruck einschaltbare Lichtszenarios zum Arbeiten und Entspannen.“
Küche trifft Büro
Ähnlich wie Josef Prödl sehen auch Heinz Glatzl und Joachim Mayr die Küche als Dreh- und Angelpunkt in diesem neu entstandenen Wohnmodell. „Toll funktionieren abgehängte Decken, um den Raum zu zonieren. Dadurch entstehen höhere und tiefere Bereiche, etwa die Küche niedrigerer mit integrierten Spots und der Esstisch höher mit Pendelleuchten. Manchmal ist auch der gefühlte Überblick durch die erhöhte Position angenehm beim Arbeiten. Das kann man mit einem in die Küche oder den Küchenblock integrierten Hochtisch umsetzen, der einen optimalen und sehr kommunikativen Homeoffice-Platz schafft.“ Und zum Schluss noch ein ganz praktischer Tipp der beiden: Mix & Match. „Es müssen nicht zwingend 6 gleiche Stühle um einen Tisch versammelt werden, der Trend geht zum Mischen. Das gilt in Punkto Optik natürlich genau so, wie in funktioneller Richtung.“