Wenn aus dem Stuhl eine Stilikone wird, hat der Designer den Zeitgeist getroffen. Aber es braucht auch herausragende Materialien und hohe handwerkliche Kunst, damit ein Möbelstück oder Einrichtungsgegenstand auch die Nachwelt überzeugt.
Möbel, Werkzeuge, Küchen- und Haushaltsgeräte – reine Gebrauchsgegenstände und Alltagsbegleiter? Das glaubt niemand, der sich jemals im Geschäft nicht zwischen zwei Käsereiben gleicher Funktionalität, aber unterschiedlicher Designs entscheiden konnte. Dinge, die man Tag für Tag um sich hat, dürfen die Augen nicht ermüden. Gegenstände des täglichen Gebrauchs sollten deshalb idealerweise nicht nur einen Zweck erfüllen, sie sollten auch ästhetischen Wert besitzen.
Das New Yorker MoMa erhob Design zur Kunstform
Das Museum of Modern Art in Manhattan zollte dieser Tatsache bereits im Jahr 1932 Anerkennung, als es eine eigene Abteilung für Architektur und Design anlegte – die erste in der internationalen Museenlandschaft. Das MoMA wurde so auch zur ersten Institution, die Architektur und Design als unabhängige Kunstformen identifizierte und anerkannte. 28.000 Exponate vom Sportwagen bis zur Tischdecke gehören heute zur Sammlung. Doch trotz dieser Größe umfasst dieses Archiv internationaler Designkunst nur einen Bruchteil der Flut an Objekten, die Jahr für Jahr auf den Markt drängt. Denn der Sprung ins Museum gelingt den wenigsten.
Möbel mit Ausstrahlung und Authentizität
Wie schaffen es Stuhl, Sessel oder Lampe überhaupt ins Museum, wie wird aus dem scheinbar prosaischen Gebrauchsgegenstand eine Designikone, ein Kunstwerk, das dauerhaft begeistert? „Da gibt es viele Wege“, sagt Christoph Thun-Hohenstein, Kunstmanager und langjähriger Direktor des Museums für Angewandte Kunst. Im MAK Design Lab werden über 500 Objekte, Werkzeuge und Technologien versammelt. „Für mich zählt am meisten, dass ein Möbel einerseits radikal den Geist seiner Entstehungszeit trifft und repräsentiert, andererseits muss es etwas zeitlos Gültiges haben und damit die Gegenwart genauso ansprechen wie alle späteren Zeiten. Das mag wie ein Widerspruch klingen, ist aber schlicht die hohe Kunst des Möbeldesigns.“
Sein eigener Lieblingsklassiker, der diese Ansprüche ganz erfüllt, ist indes kein Möbel, sondern ein Glas. Adolf Loos entwarf es 1931 für das Trinkservice 248 der Firma Lobmeyr. Klar und kompromisslos in der Form, spiegelt es die Zeit seiner Entstehung und ist dennoch zeitlos. Exzellente Gestaltung setze er bei Stilikonen und Klassikern voraus, so Thun-Hohenstein. Und noch etwas findet er essenziell: „Persönlichkeit! Eine ganz besondere Ausstrahlung und Authentizität, ja Autorität benötigen ikonische Designs. Sie verschaffen ihnen eine wunderbare Präsenz.“
Die Klassiker der Zukunft sind radikal ökologisch
Damit ein Möbel zum Exponat eines Museums wird, muss es objektive Kriterien erfüllen. „Da geht es etwa um die kunstgeschichtliche Einschätzung eines Objekts und die grundsätzliche Ausrichtung einer Sammlung“, so Thun-Hohenstein. Aber auch subjektive Präferenzen spielen eine Rolle. „Am spannendsten finde ich, ganz aktuell zeitgenössisch zu sammeln, also direkt am Puls der Zeit, und zwar Objekte, die weit in die Zukunft weisen. Was kann einem Museum Besseres passieren, als die gestalteten Zukunftsvisionen heutiger Designer zu sammeln?“ Der Nachwelt ist es überlassen, diese Visionen mit ihren Realitäten abzugleichen.
Christoph Thun-Hohenstein hat eine klare Vorstellung, was den Klassiker von morgen ausmacht: „Aus Sicht unseres Zeitalters der Klima-Moderne werden das Objekte sein, die heute als ökologisch radikal gelten, weil sie keinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen und ein neues, zirkuläres Zeitalter vorwegnehmen“, so der Experte. „Die Welt von morgen beruht auf technischen und biologischen Kreisläufen und kennt Abfall genauso wenig, wie die Natur Abfall produziert. Bis dahin haben wir aber noch einen steilen Weg vor uns.“